Am Fluss des Schicksals Roman
Frischwasserbehälter aufgefüllt. Francesca hatte ihre Nahrungsvorräte für eine Woche aufgestockt, damit sie keine unnötigen Zwischenstopps einlegen mussten.
Neal Mason war ein paar Tage weggeblieben. Er hatte ihnen gesagt, er wolle nach seinem Schiff in der Werft sehen, und hatte von irgendwelchen geschäftlichen Verpflichtungen geredet. Francesca versuchte die Vorstellung zu verdrängen, dass Neal die Zeit im Freudenhaus verbrachte, doch der Gedanke ließ sie nicht los. An diesem Abend erwarteten sie ihn auf der Marylou zurück, um am nächsten Morgen die Arbeit aufzunehmen. Doch ob Neal tatsächlich erschien, stand in den Sternen.
Verwundert hörte Joe, wie sein Name vom Pier aus gerufen wurde. Dort stand ein Botenjunge mit einem Brief.
Nachdem der Junge sich rasch verzogen hatte, überflog Joe das Schreiben, und sein Gesicht verfinsterte sich.
»Was gibt’s?«, wollte Ned wissen.
Joe fluchte. »Wir werden morgen nicht arbeiten«, sagte er. »Der Auftrag ist geplatzt.«
»Aber warum?«
»Keine Ahnung. Ohne Erklärung.« Joe drehte das Schreiben um, doch die Rückseite war leer. Er zerknüllte den Brief in der Faust. Seine Wut und Enttäuschung waren grenzenlos. Zum ersten Mal zog er die Möglichkeit in Betracht, dass Silas hinter dieser plötzlichen Pechsträhne steckte. Allerdings behielt er den Verdacht für sich, zumal er keinen Beweis hatte. Doch Ned dachte genau dasselbe.
»Ich kann es nicht fassen, Dad«, sagte Francesca, während sie sich an Deck setzten. Inzwischen war die Nacht hereingebrochen. Es war ein warmer, windstiller Tag gewesen, und die Wasseroberfläche des Flusses unter dem prächtigen Sternenhimmel war spiegelglatt. Doch keiner von ihnen hatte einen Blick für Naturschönheiten übrig.
»Es wird sich schon was anderes ergeben, mein Mädchen«, erwiderte Joe. Er hatte daran geglaubt, dass eine echte Chance gekommen sei, die Marylou zu retten; nun aber waren ihre Aussichten wieder gleich null.
Obwohl Joe tapfer bemüht war, sich zusammenzureißen, entging Francesca nicht die Schwermut in seiner Stimme.
»Offenbar stecken wir in einer Pechsträhne, Dad«, sagte sie. »Da kann es nur besser werden.«
»Das stimmt allerdings«, entgegnete Joe. »Jeder Tag bringt neue Hoffnung.« Er erhob sich und wünschte Francesca und Ned eine gute Nacht. Obwohl er selbst schon jede Hoffnung begraben hatte, nahm er sich Frannie zuliebe fest vor, sich am nächsten Morgen um Aufträge zu bemühen.
»Tja, ich hau mich auch in die Falle«, sagte Ned. Sie hatten den ganzen Tag lang hart gearbeitet, um das Schiff startklar zu machen, und er war erschöpft.
Francesca nickte. »Ich werde mich auch gleich schlafen legen.« Der Tag hatte seine Höhen und Tiefen gehabt, sie brauchte jetzt ein paar Minuten für sich allein, um einen klaren Kopf zu bekommen, und da war der Blick auf den beschaulichen Fluss stets hilfreich.
Tief in Gedanken versunken, starrte Francesca aufs dunkle Wasser, sodass sie nicht bemerkte, dass jemand sich von hinten näherte.
»Noch wach?«, fragte Neal Mason.
Vor Schreck fuhr Francesca heftig zusammen. »Schleichen Sie sich nie wieder so an mich heran«, fuhr sie ihn an, die Hand auf ihrem wild pochenden Herzen.
»Tut mir Leid. Woran haben Sie eben gedacht?«
»Was meinen Sie ...?«
»Sie machten den Eindruck, als wären Sie in Gedanken meilenweit weg. Ist etwas passiert? Hat dieser Schnösel Radcliffe Sie verärgert?« Neal stellte sich neben sie, undFrancesca spürte, wie sie sich verspannte. »Nein. Wenn Sie es unbedingt wissen müssen – ich habe mit Monty und seinen Eltern sehr schöne Stunden verbracht. Ich war in Gedanken bei meinem Vater. Der Auftrag für morgen ist geplatzt, und das deprimiert ihn sehr, wie Sie sich wohl denken können.«
»Wieso hat er denn den Auftrag verloren?«
»Er hat heute eine schriftliche Absage bekommen. Darin stand, dass der Auftrag storniert ist.«
»Warum?«
»Es stand keine Erklärung darin, aber vielleicht bringt Dad morgen etwas in Erfahrung.«
»Es läuft nicht so gut bei ihm, hm?«
Francesca hörte ehrliches Mitgefühl für ihren Vater aus Neals Stimme heraus. »Nein«, sagte sie leise.
Schweigend standen sie eine Weile nebeneinander.
»Besser, ich lege mich jetzt schlafen«, sagte Francesca, die das Bedürfnis verspürte, Neals Gesellschaft zu entfliehen. Dabei wurde ihr bewusst, dass sie jedes Mal die Regung hatte zu flüchten, wenn er sich näherte. Sie redete sich ein, dies sei auf seine herausfordernde Art
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