Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)
Die aufbauende Ansprache sparte er sich für den Schluss.
»Hören Sie.« Zum ersten Mal suchte er Blickkontakt. Seine Augen waren nicht freundlich. »Ich wünsche Ihnen alles Gute und hoffe, dass Sie es schaffen. Niemand will dahin zurück, aber es kommt doch vor. Oft sogar. Bei meinen Klienten sieht es so weit ganz gut aus, und das soll auch bitte so bleiben. Eins müssen Sie wissen: Sobald Sie Mist bauen, nicht zu den Treffen kommen oder erwischt werden, wie Sie mit den falschen Leuten herumhängen, fordere ich einen Haftbefehl an. Da fackele ich nicht lange. Ist das klar?«
Einen Moment lang war mir, als stürzten die Wände ein. Ich meinte, den Gefängnismief zu riechen. »Verstanden«, brachte ich heraus.
Trotz allem war dieses Gespräch meine erste offizielle Handlung als freier Mann gewesen. An diesem Tag würde keiner mich holen und zurückbringen. Ich machte mich aufden Heimweg. Als ich zum Ansonia kam, hielt ein freundlicher Mann in Uniform mir die Tür auf. Ein anderer begrüßte mich mit Namen und holte den Fahrstuhl für mich. Ich war von einem Gefängnis in einen Palast gekommen und konnte mich an den Unterschieden ehrlich freuen.
Bei meinem Ledersessel war eine Sprungfeder kaputt, so dass ich meinen Hintern etwas zur Seite schieben musste, aber es war der beste Sessel der Welt. Als ich hinaus auf die Stadt blickte, spürte ich nicht einen Hauch der Klaustrophobie, die mich seit meiner Entlassung verfolgt hatte. Das Wetter hatte sich noch einmal geändert. Es war erstaunlich warm, eine Septemberüberraschung, die die Frauen auf dem Broadway mit kürzeren Röcken und spärlicheren Tops quittierten. Ich erwog die Anschaffung eines Fernglases.
Schließlich holte ich mein Handy hervor – mein Bindeglied zu dieser neuen Welt der Freiheit – und schickte mich an, die Scherben zu kitten. Als Erstes rief ich meinen Vater an, um mich zu melden, ihm die Nummer zu geben und zu bestätigen, dass ich abends zu ihm kommen würde.
Dann klingelte ich alle möglichen früheren Kollegen an. Es war mir zwar per Gerichtsbeschluss untersagt, Kontakt zu Leuten aus meiner alten Firma aufzunehmen, aber es gab genügend andere Bekanntschaften aufzufrischen. Networking, hatte der Bewährungshelfer erklärt, sei die beste Möglichkeit, irgendeine Art von Job zu finden.
Ein paar Leute nahmen den Anruf nicht an. Das konnte ich akzeptieren. Andere meldeten sich und erzählten mir irgendwelche Lügen. Feiglinge. Aber ein paar schienen sich ehrlich zu freuen, wünschten mir alles Gute und versprachen, sich umzuhören und mir Bescheid zu sagen, falls sich etwas Passendes auftat.
Es würde kaum etwas Passendes geben. Außer einer Beratertätigkeit kam im Wertpapierbereich nichts infrage. Außerdemwar mir ausdrücklich alles untersagt, wobei ich mit Geld umgehen müsste – und gerade das war an der Wall Street für praktisch jeden Job essenziell.
Dem einzigen Anruf, der wirklich wichtig gewesen wäre, wich ich aus.
Die Lektion, die ich als junger Händler als Erstes gelernt habe, lautete: »Fang mit dem Schwierigen an.« Ist das Schwierige – was immer es auch sein mag – erst einmal aus dem Weg geräumt, wird alles andere einfacher, und dein Verstand kann ohne diese Ablenkung effektiver arbeiten. Es ist mir nicht leichtgefallen, mir diese Disziplin wirklich anzueignen.
Ich fürchtete mich vor dem Anruf. Was auch immer Angie zu sagen hatte, die Wahrscheinlichkeit, dass es wehtat, war groß.
Am Ende wählte ich die Nummer trotzdem.
Ihre Mutter nahm ab. Beim dritten Klingeln, zu schnell, als dass ich noch hätte kneifen und wieder auflegen können. Als sie begriff, wer dran war, verfiel sie in jenen schrillen Überschwang, der oft mit Südstaatencharme verwechselt wird. Sie freute sich so, von mir zu hören! Ich hatte ihr gefehlt. Sie war so sicher, dass ich Angie guttäte, und sie bedauerte so sehr, dass ich in diese juristischen Schwierigkeiten geraten war, aber sie war auch sicher, dass das alles wieder in Ordnung kam und dass diese Männer, die mich gejagt hatten – gejagt, wiederholte sie –, einsehen müssten, dass sie falsch lagen. Da war sie ganz sicher. Und dann fragte sie nach meinem lieben Vater. Das alles sprudelte sie ohne Pause hervor, kaum dass sie zwischendurch einmal Luft holte. Es fühlte sich an, als würde ich mit Zuckersirup übergossen.
»Ich dachte, ich könnte vielleicht mit Angie sprechen«, sagte ich schließlich.
Das löste einen weiteren Wirbelsturm an Worten aus. Sie war so glücklich,
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