Am Fuß des träumenden Berges
wollte Matthew einwenden.
«Glaub mir, mit dem Krieg hat das nichts zu tun. Es ist ganz allein die Sache zwischen Audrey und mir, die uns immer im Weg stehen wird.»
Aber was genau ist das für eine Sache?, wollte Matthew fragen. Er hatte nicht übel Lust, Benjamin am Kragen zu packen und ihn ordentlich durchzuschütteln.
Vielleicht war es für beide ganz gut, dass ihm die Hände gebunden waren.
«Du redest gerade schlecht über meine Frau», murmelte Matthew. «Unter anderen Umständen …»
«Ich weiß.» Benjamin lächelte. «Unter anderen Umständen würdest du mir an die Gurgel gehen.»
Er beugte sich vor und lockerte die Knoten von Matthews Fesseln. «Warte, bis alle schlafen. Ich will nicht, dass einer von meinen Jungs dir in den Rücken schießt.»
Matthew starrte auf seine Hände. «Warum tust du das?»
«Für Audrey. Man kann sich wohl nie so ganz davon losmachen, wenn man sich jemandem einmal so verbunden gefühlt hat, nicht wahr?»
Benjamin nickte ein letztes Mal, dann stand er auf und ließ Matthew allein. Mit gelockerten Fesseln, einem Stück feinem Bratenfleisch in der Schüssel auf seinen Knien und mit tausend wilden, ungestümen Gedanken, aus denen sich vor allem einer herauskristallisierte.
Was hast du diesem Mann angetan, Audrey? Er fühlt sich dir so verbunden und hasst dich dennoch so sehr.
Seine Flucht gelang ihm mit Leichtigkeit. Die Männer schnarchten längst satt und zufrieden, als Matthew sich kurz nach Mitternacht davonstahl.
Sein Pferd musste er zurücklassen, ebenso den Kompass und die Gewehre. Ein bedauerlicher Verlust, und wäre er nicht mit dem ostafrikanischen Busch so vertraut gewesen, hätte er Mühe gehabt, seinen Weg zu finden. Aber so lief er einfach Richtung Osten und wartete, bis die Sonne aufging und erste Wegmarken vor seinen Augen auftauchten. Er kannte sich hier nicht aus, aber er würde es schon irgendwie schaffen, den Weg zurück zur Truppe zu finden.
Letztlich fanden sie ihn, aber erst nach drei Wochen, in denen er völlig ausgehungert durch die Savanne schlich. Sein Schädel dröhnte, und er glaubte, den Verstand zu verlieren, als ein Trupp Männer vor ihm auftauchte. Einen kurzen Augenblick glaubte er sogar, das müsse wieder Benjamin mit seinen Männern sein, und er wollte schon umdrehen und weglaufen. Doch dann rief ihn eine Stimme, und es war eine englische.
Erleichtert blieb er stehen. Er hatte alles verloren, aber er lebte. Er war der Gefangenschaft entkommen und drei Wochen allein durch die Savanne geirrt. Wäre er einem Löwen begegnet, der Hunger hatte – er hätte keine Chance gehabt.
Jetzt konnte ihm nichts mehr passieren. Alles war gut.
Als die Männer erfuhren, wer er war, reagierten sie … zurückhaltend. Sie gaben ihm Wasser und Brot, einer hatte ein paar Stücke kalten Braten dabei, die Matthew herunterschlang.
«Wir haben gedacht, Sie wären tot», sagte der junge Offizier, der den Trupp anführte. «Waren in großer Sorge, Sir.»
«Ich hoffe, das haben Sie nicht meiner Frau gemeldet.» Frisch gestärkt fühlte Matthew sich bereit, sofort in die nächste Schlacht zu ziehen. Diesen Deutschen würde er’s schon noch zeigen!
Die Männer wechselten verlegene Blicke. Dann schüttelte der Offizier den Kopf. «Keine Meldung nach Hause gemacht, Sir. Das passiert erst nach vier Wochen.»
«Dann gibt’s keinen Grund, mich anzusehen, als sei die Welt untergegangen.»
Der junge Oberst räusperte sich. Er sah Matthew nicht an.
«Ist was passiert?», fragte er. «Ist irgendwas mit unserer Truppe?»
«Unsere Truppe ist in hervorragender Verfassung. Wir konnten Lettow-Vorbeck erfolgreich zurückdrängen.»
«Verdammt, Mann, sprechen Sie! Was ist es dann?»
«Ihre Frau. Es ist …»
Aber mehr hörte Matthew nicht. Das Blut rauschte ihm in den Ohren, und das wenige, was er gegessen hatte, kam ihm wieder hoch.
Großer Gott, es ist Audrey. Ich bin nicht da, und jetzt ist ihr etwas Schreckliches passiert.
Später wusste er nicht so genau, wie die Männer ihn zurück ins Lager gebracht hatten. Aber an diesem Abend, nachdem er ein zweites Mal gegessen und getrunken hatte, nachdem er sich rasiert und gewaschen hatte und in einer leidlich sauberen Uniform steckte, stand er im Zelt des Kommandanten.
«Sagen Sie mir einfach, dass meine Frau lebt», verlangte Matthew.
Nach seinem Fortgang auf The Brashy musste irgendwas vorgefallen sein. Etwas Schlimmes.
Lord Delamere war ein Engländer vom alten Schlag, zweiter Sohn eines Peers,
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