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Am Fuß des träumenden Berges

Am Fuß des träumenden Berges

Titel: Am Fuß des träumenden Berges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Peters
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Küche und fütterte Audrey mit Leckerbissen, und auch das ließ Audrey geschehen, denn im Grunde war doch alles egal.
    Sie hatte schon wieder versagt.
    Zum zweiten Mal hatte sie ein Kind, das in ihrer Obhut war, verloren. Zum zweiten Mal trug sie die Schuld am Tod eines kleinen Jungen.
    Beim ersten Mal hatte sie irgendwann das Unmögliche geschafft. Sie hatte sich verziehen. Weil Matthew da war, weil er sie rettete, ohne zu wissen, welche dunklen Geister sie mit sich schleppte. Aber das Leben lachte ihr höhnisch ins Gesicht und nahm ihr das Liebste, was sie hatte.
    Zwei Wochen ging das so. Zwei Wochen, in denen sie einfach nur an die Wand starrte und darauf wartete, dass der Schmerz nachließ. Dann erkannte sie, dass dieser Schmerz niemals von ihr weichen würde. Dass sie wohl lernen musste, damit zu leben.
    Das war der Tag, an dem sie wieder aufstand, an dem sie sich wusch und ein frisches Kleid anzog. An dem sie sogar zu Chris’ Grab ging und eine Hibiskusblüte auf den frischen Erdhügel legte. Jemand hatte – sie vermutete, das war Fannys Werk – ein schlichtes Kreuz aus Holz auf den Grabhügel gesetzt, darauf Chris’ Name und sein Todesdatum.
    Kein Geburtsdatum. Denn im Tod sind alle gleich, egal wie lange sie gelebt haben.
    Sie blieb ein paar Stunden dort sitzen und dachte nach. Sie versuchte, die flüchtigen Erinnerungen an ihren Sohn festzuhalten, aber sie wusste schon jetzt, dass vieles ihr bald entgleiten würde. Dass vieles, was sie jetzt noch so klar sah, bald verblassen würde angesichts von nichts. Denn da war nichts mehr.
    Sie dachte auch an Alfred und an Rudolf, Benjamins jüngeren Bruder. Das erste Mal seit jenem Badeunfall gestattete sie sich, die Erinnerungen ganz bewusst an sich heranzulassen. Und erst hier, am Grab ihres Sohns, konnte sie weinen – um Chris, um Alfred und um Rudolf, die viel zu früh aus dem Leben gerissen worden waren – zwei von ihnen tot, der dritte gefangen im Körper eines Kleinkinds und für immer auf die Pflege und Fürsorge seiner Familie angewiesen.
    Ihre Schuld.
    Auch bei Chris. Hatte sie sich, nachdem das Gelbfieber im Kikuyudorf abgeklungen war, jeden Abend aufs Neue gewissenhaft vom Zustand der Moskitonetze über den Kinderbetten überzeugt? Nein, hatte sie nicht. Und als sie Besuch hatte, hatte sie es sogar Mary überlassen, die Jungs ins Bett zu bringen.
    Mary traf keine Schuld. Sie kannte die Ängste einer Mutter nicht. Nein, ihr durfte Audrey keinen Vorwurf machen.
    Sich selbst dafür umso mehr.
    Sie kniete vor dem Grab, bis ihre Knochen zu schmerzen begannen. Als sie aufstand, wurde ihr schwindelig, und sie hätte sich fast am Holzkreuz abstützen müssen, um nicht zu stürzen. Audrey blieb stehen, den Blick nach unten gesenkt lauschte sie in sich hinein. Irgendwas war da … Es fühlte sich komisch an.
Anders.
    Sie kannte dieses Anderssein, sie hatte es schon zweimal erlebt.
    Auf ein drittes Mal war sie nicht vorbereitet.
    Das kann doch nicht sein, dachte sie.
    Andererseits: Vor fünf Wochen war Matthew hier gewesen. Und wenn sie überlegte …
    Sie schüttelte den Kopf. Nein.
    Dabei kannte sie die Wahrheit.
    Sie bekam erneut ein Kind. Ihr drittes.
    Gott lachte sie aus.
    Audrey öffnete den Mund. Sie hörte den erstickten Laut, der ihr entwich, hielt ihn für die Klage eines Tiers und erkannte dann, dass es ein Lachen war, ein atemloses Lachen, ganz verzerrt von ihrem Schmerz. Wie komme ich nur darauf, so etwas zu denken?
    Gott lachte sie aus?
    Das war ein Gedanke, den eigentlich nur ein Kikuyu haben konnte.
    Es passierte auf dem Rückweg zur Truppe, so unspektakulär und plötzlich, dass Matthew sich später oft fragte, warum er die Deutschen nicht hatte kommen sehen.
    Vielleicht hatte er sie nicht sehen wollen.
    Er war nicht bei der Sache, und er ritt langsam, als könne er so noch ein bisschen Zeit herausschinden, ehe er sich wieder in diesem verlausten, dreckigen Loch einrichten musste, das das Feldlager und der Kommandoposten der Engländer war. Diese Front zwischen Britisch-Ostafrika und Deutsch-Ostafrika war ein Witz. Keiner wollte sich totschießen lassen, und eigentlich spielten sie mit Oberstleutnant Lettow-Vorbeck nur Katz und Maus, während im Hintergrund die Briten ihre Truppen verstärkten und den Deutschen hoffentlich bald endgültig zurückdrängen konnten.
    Bis dahin aber jagten sie die Deutschen, und die entzogen sich ihnen immer wieder. Ein ermüdendes Spiel. Nur drei Tage hatte Matthew bei seiner Familie sein können, und diese

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