Am Fuß des träumenden Berges
und, weil die Heimat ihm nichts geboten hatte, früh nach Ostafrika ausgewandert. Er war eine Institution in Nairobi, und viele sagten, er sei der Gouverneur hinter dem Gouverneur. Matthew mochte ihn, obwohl sie bisher wenig Gelegenheit gehabt hatten, miteinander näher bekannt zu werden.
Das liegt daran, dass Delamere in einer anderen Welt lebt als ich, dachte Matthew. Auch in Ostafrika gibt es diese Grenzen zwischen der Gesellschaft und dem Rest. Wir sehen die Grenze nur nicht so klar, und es gibt Menschen, die sich darüber hinwegsetzen wollen.
«Gut, Sie wieder dabeizuhaben, Winston. Wir haben Sie schmerzlich vermisst.» Delamere reichte ihm jovial die Hand. «Möchten Sie Kaffee? Oder lieber Tee? Hab gehört, Sie haben da oben am Mount Kenya eine florierende Teeplantage.»
«Kaffee wäre mir gerade recht, Sir.»
Delamere schenkte aus einer Blechkanne in zwei emaillierte Becher tiefschwarzen, duftenden Kaffee. «Den müssen Sie probieren. Ein Genuss.»
Delamere bot Matthew einen Platz an, und sie tranken den Kaffee schweigend. Matthew wippte unruhig mit dem Fuß. Er hielt diese Anspannung nicht länger aus.
«Sir, entschuldigen Sie, wenn ich unhöflich bin …»
«Ja. Ich muss mich entschuldigen.» Delamere stellte den Becher auf ein kleines Tischchen und beugte sich vor. Er faltete die Hände.
«Kennen Sie einen Kikuyu namens Kinyua?»
«Natürlich. Kinyua ist der Dorfvorsteher meiner Kikuyu. Er unterstützt meine Frau bei der Farmarbeit.»
«Vor drei Tagen kam er her und wollte Sie sprechen.»
«Kinyua ist hier?»
«Er ist noch am selben Tag zurückgelaufen. Ein Teufelskerl, ist eine Woche durch den Busch getrabt und ließ sich durch nichts davon abhalten. Wir haben ihn anständig mit Vorräten versorgt.»
«Oh», sagte Matthew. «Was … Also, ich bedanke mich natürlich für Ihre Unterstützung, aber ich möchte jetzt wirklich gern wissen, was genau … Es ist etwas passiert?»
«Es ist etwas passiert, Matthew. Ihr Ältester. Wie heißt er? Chris?»
«Chris, ja.» Matthew spürte, wie etwas nach ihm griff. Ihm wurde eiskalt, und die Worte des Lords drangen wie durch einen Blutschleier zu ihm.
«Ihr Ältester ist an Gelbfieber erkrankt und nach drei Tagen gestorben. Es tut mir leid, Winston. Wären Sie hier gewesen, ich hätte Sie sofort heimgeschickt. Jetzt sollten Sie nach Hause zurückkehren. Mein Beileid. Ich glaube, niemand kann nachvollziehen, was Sie jetzt empfinden …»
Mehr hörte Matthew nicht.
Mein Kind ist tot.
Mein Sohn.
Er versuchte, etwas zu sagen, aber aus seinem Mund drang nur ein unartikuliertes Gurgeln, ein unmenschlicher Laut.
«… verstehen Sie?»
Nein. Er verstand nichts.
Audrey, wie konnte das nur passieren?
Später fehlte ihm ein Teil seiner Erinnerung, nur Fetzen blieben. Er wusste noch, dass er aus dem Zelt stolperte. Er übergab sich schon wieder, und keiner lachte. Die Männer im Halbkreis um ihn, einer half ihm auf. Matthew schüttelte ihn ab. «Alles gut», hörte er sich sagen.
Als er wieder klar denken konnte, saß er im Sattel eines fremden Pferdes und jagte nach Norden.
Heim.
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28 . Kapitel
Gott lachte sie wahrhaftig aus. Er schenkte ihr in diesem Jahr die beste Ernte, die sie seit ihrer Ankunft auf The Brashy hatten einfahren können.
Gott lachte sie aus. Die Teemanufaktur produzierte den besten Tee, den sie je getrunken hatte.
Die Preise waren im Keller. Keine Kiste Tee, keinen Sack, kein Bündel konnte sie nach Europa verschiffen. Sie hatte die beste und größte Ernte seit Bestehen von The Brashy, das Lager platzte aus allen Nähten, und die Pflückerinnen waren auch nach Einbruch der Dunkelheit noch im Licht des Mondes auf den Feldern unterwegs, um die zartesten Blätterknospen mit dem Fingernagel abzukneifen. Nie war der herbsüße Duft frischer Teeblätter verführerischer gewesen.
Noch nie war eine Ernte so wertlos gewesen.
Und Gott hatte seinen Spaß. Audrey saß abends auf den Verandastufen und wartete. Sie hatte Kinyua nach Süden geschickt, damit er Matthew heimholte. Sie wollte trauern mit ihm, nicht mehr allein sein mit dem Schmerz. Neben ihr lag Thomas in einem großen Weidenkorb, den sie nicht mehr aus den Augen lassen wollte, seit sie ihre Kraft wiedergefunden hatte. Tagsüber, wenn sie auf der Farm unterwegs war, band sie ihn sich wie eine Kikuyu auf den Rücken, und abends schlief er mit ihrem Finger in der kleinen Hand ein, während sie die großen Kontobücher auf dem Schoß balancierte und mit
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