Am Fuß des träumenden Berges
Kleidung der Kikuyu, ein Tuch um Hüfte und Schulter geschlungen, mehr nicht. Die Armreifen klimperten leise, und er drehte sich lächelnd zu ihr um und streckte ihr die Hand hin.
Es fühlte sich richtig an, Hand in Hand mit ihm das Haus zu verlassen, doch draußen ließ sie seine Hand los, und er protestierte nicht. Nein, er lächelte weiterhin, als verstünde er jeden ihrer Gedanken.
Sie musste sich erst daran gewöhnen, dass sie ihn jetzt in ihr Leben ließ. Daran und an die Vorstellung, dass nichts davon unbemerkt bleiben würde. Schon bald würde man in Nyeri davon wissen, und was morgens in Nyeri bekannt war, darüber zerrissen sie sich am Abend schon in Nairobi das Maul.
Aber kümmerte es sie überhaupt noch, was die Leute redeten? Sie hatte ihre Söhne verloren. Nichts konnte mehr schmerzen.
Den ganzen Tag wich Kinyua nicht von ihrer Seite. Er war wie ein Schatten, und sie war ihm dafür dankbar, denn wäre sie allein gewesen, hätte sie darüber nachgedacht, was es wirklich bedeutete, dass sie mit einem Schwarzen schlief. Dann wären ihr all die unfeinen Begriffe eingefallen, mit denen man eine Frau bedachte, die sich erdreistete, so etwas zu tun. Mannstoll, eine dreckige Negerhure. Das war sie.
Dabei war sie nur einsam. Und in Kinyuas Armen vergaß sie diese Einsamkeit. Wäre ein anderer Mann da gewesen, ein Weißer, sie hätte ihn wohl ebenso verführt. Wobei die Frage, wer hier wen verführt hatte, für Audrey nicht eindeutig zu beantworten war.
Am Abend kehrte sie allein zum Haus zurück; Kinyua ging in sein Dorf. Sie verabschiedeten sich an einer Weggabelung. Kurz war Audrey versucht, ihm einfach die Hand zu geben, obwohl sie wusste, dass es zu förmlich und falsch war.
Kinyua beugte sich zu ihr herunter, und er küsste sie sanft auf den Mund. Dann lächelte er aufmunternd und drehte sich um.
Sie blieb lange dort stehen, die Finger verharrten direkt über ihren Lippen, weil sie glaubte, ihn jetzt noch zu schmecken. Dann drehte sie sich um und ging heim.
Fanny wartete auf der Veranda, die in tintenschwarze Dunkelheit getaucht war, als Audrey zurückkam. Sie saß in einem der Korbsessel, und erst bemerkte Audrey sie nicht, bis sie die Stimme ihrer Freundin hörte.
«Du warst mit Kinyua zusammen.»
Audrey wusste nicht genau, ob Fanny den Tag meinte oder jene Stunden in ihrem Schlafzimmer, aber da beides der Wahrheit entsprach, sagte sie nur: «Ja.»
«Ich mache mir Sorgen, Audrey.»
Sie setzte sich hin. Kamau kam nicht, wie er es sonst tat, um sie nach ihren Wünschen zu fragen, und sie fühlte sich sehr alleingelassen.
«Stellst du dir so deine Zukunft vor?»
Audrey schluckte.
«Ich habe keine Zukunft. Matthew ist fort. Was bleibt mir denn noch?»
«Du könntest um ihn kämpfen. Und um Thomas. Du könntest die beiden suchen und zurückholen.»
«Ich habe kein Recht. Thomas ist sein Sohn, und ich …» Sie atmete ein, und ihr Ausatmen war ein ersticktes Schluchzen. «Ich habe doch keine Rechte. Jedes Gericht wird ihm unseren Sohn zusprechen. Wir sind nicht verheiratet. Wenn man es so sehen will, bin ich nichts als eine liederliche Person, die ihm alles genommen hat.»
«Er ist freiwillig gegangen. Und leicht hat er sich das sicher nicht gemacht.»
«Du verteidigst ihn? Ausgerechnet du?» Audrey wurde wütend. «Was haben die Männer dir nicht alles angetan! Aber du hast es ertragen, nicht wahr? Immer hast du gehofft, es werde sich zum Guten wenden, ob das nun Jack war oder Benedict oder irgendein anderer Kerl. Und nie hast du ein böses Wort gegen diese Männer gefunden, die dich wie Dreck behandelt haben. Dabei bist du es, die sich selbst so klein macht. Du machst dich zu dem, was du bist – eine unglückliche, vertrocknete alte Jungfer, die keiner haben will. Ich bin mir zu schade dafür, hörst du? Ich hab schon einmal gedacht, dass ich keine Zukunft habe, aber damals hat Matthew mich gerettet. Siehst du, diesmal ist keiner da, der mich rettet. Das kann ich nur aus eigener Kraft tun.»
Fanny zischte: «Aber doch nicht, indem du mit einem Neger ins Bett steigst!»
Audrey stand auf. «Ich habe nicht vor, mit dir dieses Gespräch zu führen», erwiderte sie kühl. «Wenn dir nicht passt, wie die Dinge hier gehandhabt werden, steht es dir frei, nach Nairobi zu gehen. Oder sonst wohin. Ich halte dich nicht auf.»
Sie wusste, das war gemein. Aber mindestens so gemein war es, dass Fanny ihre Liebe zu Kinyua – jawohl, ihre Liebe! – in den Dreck zog.
Hatte sie Kinyua schon
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