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Am Fuß des träumenden Berges

Am Fuß des träumenden Berges

Titel: Am Fuß des träumenden Berges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Peters
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bald ins Bett? Matthew?»
    Er antwortete nicht mehr.
    Am Morgen wurde sie nicht wie gewohnt vom Trappeln kleiner Kinderfüße geweckt, die zum Elternschlafzimmer gelaufen kamen. Sie wunderte sich nicht, denn neben ihr war das Bett leer. Wahrscheinlich war Matthew früh aufgestanden und hatte Thomas mitgenommen.
    Sie kleidete sich an und ging auf die Veranda. Nur ein Gedeck auf dem Tisch, niemand zu sehen. Ein lautes Klappern in der Küche. Kamau kam und brachte ihr das Frühstück.
    «Ist der Bwana schon zur Plantage gegangen?», fragte sie.
    «Memsahib Fanny hat schon gefrühstückt.»
    Das war keine Frage auf ihre Antwort. «Kamau, wo ist mein Mann? Wo ist der Bwana?»
    Kamau sah sie an. Lange, als müsste er sich die Worte zurechtlegen, und dann zuckte er nur mit den Schultern. «Ich bringe noch Tee.»
    Audrey hielt ihn am Handgelenk fest. Beide zuckten zusammen. Sie hatte ihn noch nie berührt.
    «Bitte», sagte sie leise.
    «Ich glaube, der Bwana hat dir einen Brief dagelassen, Memsahib.»
    Er ging ins Haus und kam kurze Zeit später mit einem großen, braunen Briefumschlag zurück. Audrey wartete, bis Kamau wieder verschwunden war, ehe sie den Umschlag öffnete.
    Darin war ein kleinerer Umschlag, den sie sofort erkannte. Ihr Herz stockte. Sie griff sich an die Kehle, und ein erstickter Laut kam über ihre Lippen. Neben dem Briefumschlag lag nur ein Bogen Papier. Sie faltete ihn auseinander und las:
    Audrey,
    ich habe meinen Sohn genommen und bin fortgegangen. Such uns nicht. Wenn sie mich finden, werde ich ihnen deine Geheimnisse erzählen: dass du am Tod zweier Kinder schuld bist und nie mit mir verheiratet warst.
    Matthew.
    Kein Gruß, kein Abschied, nur diese wenigen Zeilen. Audrey starrte so lange auf den Brief, bis ihre Augen schmerzten und juckten. Sie legte den Briefbogen achtlos auf ihren Teller. Später wusste sie nicht, wie lange sie einfach nur dagesessen und ins Leere gestarrt hatte. Irgendwann kam Kamau heraus, er räumte den Tisch ab und fragte sie, ob er noch etwas für sie tun könne.
    Sie schüttelte den Kopf.
    Matthew hatte Thomas einfach mitgenommen. Er war verschwunden und hatte sie alleingelassen. Weil genau das passiert war, wovor sie sich all die Jahre immer gefürchtet hatte. Er hatte die Wahrheit über sie herausgefunden, und jetzt gab er ihr die Schuld an Chris’ Tod und an dem Elend, das über sie beide hereingebrochen war. Und er ging, weil es so leicht war zu verschwinden. Ihn hielt hier nichts. Audrey war nicht mal seine Ehefrau.
    Sie stand auf und musste sich am Tisch festhalten, weil ihre Beine nachzugeben drohten. «Fanny?», rief sie; ihre Stimme klang kläglich und zittrig.
    «Sie ist auf der Plantage, Memsahib.» Kamau stand in der Tür, die Hände vor dem Bauch gefaltet. Sie sah das Mitleid in seinen Augen, und das ertrug sie nicht. «Sie kümmert sich um den Tee.»
    Dann wusste Fanny bereits davon. Sie hatte es gewusst und Audrey nicht gewarnt.
    Sie wusste nicht, wohin sie sich wenden sollte. Wenn sie Matthew nachritt, holte sie ihn vielleicht ein, aber die Vorstellung, wie sie um das Kind rangen und sie versuchte, Thomas den Armen seines Vaters zu entreißen … Nein. Beim Gedanken daran sah sie, wie Matthew den Jungen losließ, er aus großer Höhe zu Boden fiel und von Hyänen verschleppt wurde.
    «Konzentrier dich!», fauchte sie und schlug mit der flachen Hand gegen ihre Schläfe. «Verdammt, es wird ihm nichts passieren, solange du nicht in der Nähe bist!»
    «Memsahib?» Kamau sah sie fragend an, und sie lächelte entschuldigend.
    «Schon gut», sagte sie zerstreut. Sogar ein Lächeln gelang ihr. «Ich bin auf der Teeplantage, wenn mich jemand sucht.»
    Aber sie machte sich nichts vor. Niemand würde sie suchen. Es interessierte niemanden, ob sie hier war oder nirgendwo. Sie war ganz allein auf der Welt.
    Bis auf … ja. Sie legte die Hand auf ihren leicht gewölbten Bauch. Bis auf das Kind, das in ihr wuchs.
    Sie lächelte. Alles gar nicht schlimm, redete sie sich ein. Sie bekam ja noch ein Kind, das würde den Verlust der anderen beiden schon aufwiegen.
    In einem fernen Winkel ihres Herzens wusste sie, dass dieser Gedanke irgendwie falsch war – er klang so schrill in ihr –, aber sie kam nicht darauf, was daran falsch sein sollte.
     
    Sie fand Fanny in der Faktorei, wo ihre Freundin die Frauen beaufsichtigte, die den Tee verpackten.
    Ein Teil des Tees wurde hier in Afrika verkauft. Man brachte ihn nach Nairobi. Von dort wurde er nach Durban oder in andere

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