Am Fuß des träumenden Berges
vorher geliebt? Irgendwas war da gewesen. Immer wieder. Etwas, das sie jetzt nicht länger unterdrücken musste.
Sie ging ins Wohnzimmer und las. Kamau servierte das Abendessen, aber Fannys Platz blieb leer. Audrey ging ins Bett und lag lange wach.
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33 . Kapitel
Fanny blieb auf The Brashy. Alles andere hätte Audrey auch sehr gewundert. Sie hatte tatsächlich keinen Ort, wo sie hingehen konnte.
Trotzdem gingen sie einander aus dem Weg, und wenn sie sich begegneten, geschah es auf eine misstrauische, beinahe feindselige Art. Ihre Gespräche drehten sich nur um die Belange der Plantage, und Audrey legte so viel in Fannys Hände, wie diese bereit war, auf sich zu nehmen, bis Fanny faktisch die Farm leitete und Audrey gar nicht mehr aus dem Haus musste, wenn sie nicht wollte.
Eine Woche später kam mit der wöchentlichen Post aus Nyeri ein großes, flaches Paket, das an Audrey adressiert war. Es kam von Morrison & Cie., einem der besten Herrenschneider von Britisch-Ostafrika, bei dem Matthew immer seine Kleidung bestellte. Sie wunderte sich. Hatte er vor seinem Verschwinden etwa noch eine Bestellung aufgegeben und diese wurde nun verspätet geliefert?
Doch die Sachen in dem Karton passten so gar nicht zu Matthew. Helle Khakihosen und passende Hemden, zwei Halstücher und sogar ein Paar Schuhe. Sie drehte die Schuhe hin und her, dann stellte sie den Karton im Arbeitszimmer auf den Boden und hatte ihn schon bald vergessen.
Bis Kinyua sie drei Tage später fragte, ob ein Paket angekommen sei. Da fiel es ihr wieder ein.
«Das sind deine Sachen?»
«Ich habe sie in Nairobi bestellt.»
Sie holte den Karton und stellte ihn auf den Esszimmertisch. Kinyua hob die Sachen heraus, hielt sie sich etwas ungelenk an. Sie sah sofort, dass die Sachen passten.
«Mr. Noori hat mich beraten», erklärte Kinyua nicht ohne Stolz. «Ich dachte, so sehe ich besser aus, wenn ich mit dir in die Stadt fahre.»
«Wir fahren nicht in die Stadt», erwiderte Audrey verwirrt.
«Doch. Wir müssen schließlich deinen Sohn suchen. Er gehört hierher, zu dir.»
Sie war gerührt. Von Kinyuas Fürsorge, aber auch von seiner Umsicht. Er war im Busch aufgewachsen, und tatsächlich war er nie weiter als bis Nyeri gekommen. Trotzdem wusste er, dass man ihn an der Seite einer weißen Frau fortjagen würde, wenn er in den Kleidern auftrat, die er hier draußen immer trug.
«Du musst das nicht tun.»
«Ich will es aber», erwiderte er.
Audrey gab nach. «Probier’s an!»
Er nahm die Sachen und verschwand im Schlafzimmer, in dem er inzwischen jede Nacht neben ihr lag, als wäre es nie anders gewesen. Nach fünf Minuten tauchte er wieder auf. Die Hose saß etwas schief und brauchte einen Gürtel, und das Hemd hatte er falsch geknöpft. Audrey trat zu ihm und half ihm dabei. Er lächelte verlegen. «Ich habe noch nie so was besessen.»
«Es steht dir ausgezeichnet», beteuerte sie und gab ihm einen Kuss auf den Mund.
«Dann lass uns nach Nairobi fahren!» Ehe sie sichs versah, hatte er die Arme um sie gelegt und sie an sich gezogen. Ihr Kopf ruhte an seiner Brust, und sie atmete den frischen, knistrigen Duft der Kleidung ein, der sich mit dem dunklen, erdigen Duft vermischte, den Kinyua verströmte. Sie schloss kurz die Augen und stellte sich vor, in Matthews Armen zu liegen.
Dann löste sie sich von ihm. «Ich halte das für keine gute Idee», erklärte sie. «Man redet über uns.»
«Lass sie reden. Mir ist das egal.»
Mir sollte es auch egal sein, dachte sie. Aber das war es nicht. Sie lebte mit einem Kikuyu zusammen. Sie hatte sich selbst an den Rand der Gesellschaft gestellt, sogar noch weiter draußen als Fanny. Und das wollte etwas heißen.
«Ich muss an meine Kinder denken.» Ihre Chancen, Thomas zurückzubekommen, waren ohnehin schon fast aussichtslos. Wenn sich dann auch noch herumsprach, dass sie mit ihrem schwarzen Liebhaber durch Nairobi spazierte …
«Audrey.» Er küsste sie auf die Stirn. Sie war verwirrt. Seit sie mit ihm zusammen war, hatte er sich verändert. Wie eine schwarze Kopie von Matthew. Er hielt sie in den Armen, er küsste sie auf Stirn und Mund. Das alles erinnerte sie daran, was sie verloren hatte, und sie machte sich unwillig von ihm los.
«Dann fahren wir eben nach Nairobi!» Und sei es nur, damit sie am eigenen Leib erfuhr, was es hieß, ausgegrenzt zu werden.
Sie hatte das gemeinsame Leben einfach weggeworfen, und alles, was ihm blieb, waren die Brotkrumen einer
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