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Am Fuß des träumenden Berges

Am Fuß des träumenden Berges

Titel: Am Fuß des träumenden Berges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Peters
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aufopferungsvoll um ihren jüngeren Bruder kümmere, der sehr krank sei. Was genau das für eine Krankheit war, wusste Tante Rose auch nicht. Jedenfalls schien es, als habe Audrey es einfach versäumt, sich auf den Teepartys und Tanzgesellschaften herumzutreiben, auf denen ihre Altersgenossinnen nach einem potenziellen Ehemann Ausschau hielten.
    Und jetzt war sie hier, sie lag im Zimmer neben seinem und schlief, während er sich unruhig hin und her wälzte und vor Aufregung und Freude und vor Angst nicht in den Schlaf fand.
    Schließlich hielt er es nicht länger aus und stand auf. Er kleidete sich im Dunkeln an und verließ sein Hotelzimmer. Die Gänge lagen still und dunkel da; das Hotel befand sich in einem Teil Mombasas, der nicht vom aufgeregten Treiben auf den Basaren geprägt war, sondern von Villen und großen Gärten, in denen Springbrunnen plätscherten. Er ging in die Lobby, die in ein warmes, goldenes Licht getaucht war. Der Concierge, ein Inder mit einem roten Turban, schrak auf und trat diensteifrig an den Tisch, doch Matthew winkte ab. Er wollte allein sein.
    So richtig allein sein konnte man aber nicht in diesem Hotel. Kaum betrat er die Bar, ging ein Licht an, und auch hier tauchte ein junger Inder auf. Er stellte ein Glas auf den Tresen, und als Matthew nickte, schenkte er eine bernsteinfarbene Flüssigkeit ein.
    Es war derselbe Whisky, den er bereits nach dem Essen im Salon für die Herren genommen hatte. Matthew schloss genüsslich die Augen. Ein guter Tropfen.
    Was stimmt nicht mit Audrey?, fragte er sich.
    Sie war so hübsch. Schlank, aber nicht zu dünn – das mochte er nämlich nicht –, und ihre Haare waren lockig und dunkel und funkelten rötlich, wenn das Licht sie berührte. Ihr Gesicht war zart, aber irgendwie sah sie traurig aus. Am besten gefielen ihm ihre Augen. Groß und taubengrau. Augen, so alt wie die Zeit.
    Er fragte sich, was diese Augen gesehen hatten.
    Ich werde sie glücklich machen, dachte er. Und sie wird mich glücklich machen. Sie wird den Schmerz vertreiben, der mich ausfüllt.
    Konnte eine geschundene Seele die andere heilen? Er hatte auf diese Frage keine Antwort, vielleicht war sie auch rhetorischer Natur, wie so vieles, das er sich zuletzt nur im Stillen gefragt hatte. Kinyua, der war ihm schon lange ein Gesprächspartner, aber was war er für ein Mann, dass er sich mit einem Kikuyu über die großen Fragen des Lebens unterhielt?
    Vielleicht war er einfach schon zu wunderlich, um einer Frau wie Audrey ein guter Mann zu sein.
    Aber versuchen wollte er’s. Das zumindest. Was er nur machen sollte, wenn es ihm nicht gelang … das wusste er nicht. Denn dann wäre sie an ihn gefesselt und er an sie, und sie würden einander das Leben zur Hölle machen.
    Es wird schon irgendwie gehen, dachte er.

[zur Inhaltsübersicht]
10 . Kapitel
    Am nächsten Tag fuhren sie am späten Nachmittag mit dem Zug am Bahnhof von Mombasa ab. Über Nacht reisten sie in bequemen Schlafwagen nach Nairobi – eine Kabine für die Damen, eine zweite für die Herren – und erreichten die Stadt am kalten Wasser, wie Nairobi übersetzt hieß, am Mittag des Folgetages.
    Sie waren nicht die Einzigen, die mit dem Zug von Mombasa in Nairobi eintrafen. Mit ihnen stiegen zwei dickliche Männer mittleren Alters aus, denen man ansah, dass sie ihre hellen Anzüge und die Tropenhelme zum ersten Mal trugen, denn sie zupften ständig daran herum und tupften sich den Schweiß von der Stirn. Sie wurden von einem braungebrannten, hochgewachsenen Mann begrüßt, der ein geschliffenes Oxford-Englisch sprach, mit dem breitkrempigen Hut und dem dreckigen, verschwitzten Hemd allerdings eher wie ein Cowboy aussah.
    Verstohlen musterte Audrey die drei Männer. Die beiden dicken Kerle sprachen mit einem harten Akzent. Preußen, vermutete sie. Deutsche.
    «Komm, Audrey.» Matthew bot ihr den Arm, und sie hakte sich bei ihm unter. «Was wird mit unserem Gepäck?», fragte sie bang.
    «Um das kümmern sich die Leute von der Eisenbahngesellschaft. Ich lasse es zum Haus unseres Gastgebers bringen.»
    Nairobi hatte kein Bahnhofsgebäude. Das Gleis führte neben einer Baracke direkt weiter nach Nordosten, vorbei an schäbigen Hütten und von sauberen Weidezäunen eingefassten Gärten.
    «Bist du sicher, dass das hier Nairobi ist?» Audrey musste sich beeilen, um mit Matthew Schritt zu halten. Er trat auf den Platz vor dem Bahnhof, rot und staubig und verlassen. Im Schatten einer Schirmakazie dösten ein paar Jungen. Sie

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