Am Fuß des träumenden Berges
aufstanden und aufs Zimmer gehen wollten, hielt Matthew sie fest.
«Was ist?», fragte sie lächelnd. Sie war beschwipst und schwankte leicht. Ihr Oberkörper stieß gegen seine Brust. Seine Hand lag auf ihrem Arm und stützte sie.
«Du siehst manchmal so traurig aus.»
Die ausgelassene Fröhlichkeit, diese innere Ruhe – verflogen. Ein Satz genügte, sie zurückzuweisen auf ihren Platz in der Welt.
Behutsam entzog Audrey ihm ihren Arm. «Das kann schon sein», sagte sie leise.
«Vermisst du deine Familie? Oder deine Freunde? Gibt es irgendwas, das ich tun kann, damit es leichter ist für dich?»
Sie senkte betreten den Blick.
Dass er schon nach so kurzer Zeit mehr sah, als sie preisgeben wollte, beunruhigte sie. Gegen ihre Ängste kam sie nun mal nicht an, und ihre schlimmste, größte, gewaltigste Angst war, dass er sie fortschickte.
«Ich will nur nichts falsch machen», flüsterte sie.
Matthew schaute sich um; Tante Rose und Onkel Reggie strebten zum Ausgang, sonst war niemand mehr da. Zwei halbwüchsige Jungs in Kellneruniform bewegten sich lautlos zum Tisch und räumten ihn ab. Geisterhaft waren ihre Bewegungen, kein Besteck klapperte, kein Glas klingelte.
Er beugte sich zu ihr. Sein Mund so dicht an ihrem, dass sie glaubte, ihn zu schmecken – herber Wein und süße, kandierte Datteln. Ihr Atem stockte.
«Du machst alles richtig.» Seine Lippen auf ihren, nur ganz kurz, und seine Hand zugleich in ihrem Kreuz so glühend heiß wie ein Brenneisen, dass sie unter der Berührung fröstelte. «Du kannst gar nichts falsch machen, hörst du?»
Noch ein Kuss. Sie seufzte. Ihr Körper bog sich seinem entgegen, und ihre Brüste streiften seine Brust. Er löste sich zögernd von ihr, betrachtete sie ernst und nachdenklich.
«Was ist?», fragte sie leise und bang.
Immer diese Angst. Wäre da nur nicht ständig die Befürchtung, er könne ihr an der Nasenspitze ansehen, wer sie war,
was
sie war – sie könnte nachgeben. Diesem warmen Gefühl, das sich vom Unterleib aus in ihr ausbreitete, und diesem seligen Lächeln, das sich auf ihr Gesicht stahl.
«Für mich bist du perfekt.»
Mehr sagte er nicht. Er bot ihr den Arm, setzte eine heitere Miene auf und führte sie aus dem Speisesaal. Audrey schritt an seiner Seite. Hinter ihrem Rücken fiel ein Glas zu Boden; das Klirren auf den Fliesen zerschnitt die Stille und ließ sie zusammenzucken.
Für mich bist du perfekt.
Sie hatte dem Glück nicht trauen wollen, das hier auf sie wartete.
Und jetzt erkannte sie, dass es noch viel größer war als erhofft. Dass er sie ansah, wie ein Mann die Frau anschaute, mit der er den Rest seines Lebens verbringen wollte.
Und sie verspürte das Glück, von dem sie geglaubt hatte, es sei für immer aus ihrem Leben verschwunden.
Dieser Moment war es, in dem sie beschloss: Er muss es nicht wissen. Er darf es nie erfahren. Diese Seite von ihr sollte er nicht kennenlernen. Es hätte ihre Beziehung nur belastet, egal wann er es erfahren hätte. Sie beschloss, es wäre besser, wenn sie weiterhin mit dieser Schuld lebte und nicht Matthew damit belastete.
Ich halte das aus, dachte sie.
Wenn er sie glücklich machte, hielt sie es wohl aus.
Matthew hatte geglaubt, es sei ganz einfach. Er hatte nach einer Gefährtin gesucht, nach einer Frau, die sich ihm und mit der er sich verbunden fühlte. Audrey klang in ihren Briefen so lustig, so klug und … ja, sie klang wunderschön.
Er hatte sich ein bisschen davor gefürchtet, sie könne nicht seinen Erwartungen entsprechen.
Aber dann stand sie vor ihm, und er spürte seine Unsicherheit, weil ihr Lächeln so offen und so sehr das war, was er sich gewünscht hatte. Er hatte das Gefühl, hier werde ihm etwas zuteil, das er nicht verdient hatte, und er schämte sich sofort für den Gedanken. Denn was müsste sie dann erst denken? Sie hatte doch etwas Besseres verdient.
Aber ihr Lächeln galt ihm, und es war gar nicht schwer, sich sofort darin zu verlieren. Sie plauderte angenehm, und daran, wie Rose und Reggie sie beobachteten, erkannte Matthew, dass die beiden Audrey auch mochten. Das genügte ihm schon fast.
Es war so einfach, sich in sie zu verlieben.
Aber sofort kamen ihm Zweifel, diese kleinen, unbequemen Stimmen, die ihm einflüsterten, das könne nicht so einfach sein. Ein so hübsches Ding, dem mussten daheim in England doch Dutzende Männer hinterherlaufen.
Er wusste, was Tante Rose ihm erzählt hatte. Audrey sei viel daheim bei ihren Eltern, wo sie sich
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