Am Fuß des träumenden Berges
es eben doch besonders war, weil es nach der Mode des Jahres 1910 geschneidert war und nicht nach der von 1909 oder 1908 , mit der sich die meisten Damen im Protektorat zufriedengeben mussten, weil Modezeitschriften selten nach Afrika verschickt wurden. Die Herren waren jovial, sie schlugen Matthew gut gelaunt auf die Schulter und beglückwünschten ihn zu seiner ausgezeichneten Wahl. Audrey verstand, wie es gemeint war, und fühlte sich allmählich immer elender.
Hatte Matthew etwa auch ein Geheimnis? Warum hatte er nicht eine der jungen, unverheirateten Frauen gewählt, von denen es hier einige gab? Die junge Renata Walden zum Beispiel, eine kleine, dunkeläugige Schönheit, die sich ihrer Gesichtsbräune nicht zu schämen schien und deren schwarze Locken sich kaum bändigen ließen. Sie war bestimmt besser geeignet, in der Wildnis Ostafrikas auf einer Teeplantage zu leben. Oder die elfengleiche, helle Babette, die sich Audrey vorstellte und sogleich fragte, welche Bücher sie aus England mitgebracht hatte und ob man sich mal austauschen könne – denn an neue Bücher zu kommen sei hier ebenso schwer wie an eine aktuelle Modezeitschrift.
Aber Matthew blieb an ihrer Seite. Unerschütterlich. Beinahe besitzergreifend. Sie spürte seine Hand in ihrem Rücken. Er winkte die Boys mit den Canapés heran und die mit dem kühlen Champagner. Die anderen Gäste drängten sich um Audrey, stellten ihr Fragen und gaben sich die Antworten gleich selbst.
«Freuen Sie sich auf Ihr Leben hier? Hat Matthew Ihnen schon von The Brashy erzählt?»
Audrey lächelte höflich und wandte sich an Babette, von der die letzte Frage kam. «Er sagt, ich würde es lieben. Waren Sie schon dort?»
«Oh, wir waren alle schon mal dort.» Ein junger Mann trat neben Babette. Abgesehen von der gebräunten Haut und den von der Sonne gebleichten Haaren glich er Babette wie ein Bruder. «Entschuldigen Sie, wie unhöflich von mir. Benedict Tuttlington, Babettes Bruder.» Er grinste frech und beugte sich höflich über Audreys Hand.
«Und die größte Nervensäge, die Sie in Ostafrika finden können», fügte Babette hinzu. «Außerdem der unpünktlichste Mann, dem ich je begegnet bin. Du wolltest heute Mittag zurück sein.» Es klang vorwurfsvoll.
«Schwesterchen, ich erklär dir bei Gelegenheit gerne, was es bedeutet, Elefanten zu jagen. Da kann man keinen Wecker stellen, und es ist ganz und gar unmöglich, einfach aufzustehen und nach Hause zu marschieren, nur weil im Haus des Gouverneurs ein Empfang zu Ehren einer englischen Pastorentochter gegeben wird. Verzeihen Sie, Miss Collins. Nichts gegen Sie, aber manchmal gebärden sich einige Leute hier, als gäbe es keine Menschen in Ostafrika, sondern nur Wilde.»
«Es gibt hier auch kaum Menschen, sondern nur Wilde», erwiderte Babette spitz. Sie machte auf Audrey nicht den Eindruck, als sei sie genau die Richtige für das Leben in diesem Land.
Vielleicht hatte Matthew sie deshalb nicht zur Frau genommen.
Sie wandte sich nach ihm um.
Er war nicht da. Als sie den Blick über die Anwesenden schweifen ließ, konnte sie ihn nicht finden. Auch Renata war verschwunden.
Sie schluckte hart.
Haltung bewahren, sagte sie sich. Das hatte ihre Mutter sie gelehrt. Es war Eleonore Collins immer wichtig gewesen, ihre Kinder auf das Leben vorzubereiten, und zwar in allen Belangen. Audrey konnte daher nicht nur ganz passabel nähen, sehr gut stricken, einen Haushalt führen und kochen, nein: sie hatte auch gelernt, Haltung zu bewahren.
Sie erinnerte sich noch allzu gut an den Tag, als sie mit fünfzehn von ihrer Mutter die erste Lektion in «Haltung» erteilt bekam. Sie musste nicht mit einem Stapel Büchern auf dem Kopf durch den Salon stolzieren, nein, darum ging es nicht. Gemeint war die innere Haltung – ruhig, gelassen und unerschütterlich sollte Audrey ertragen, was das Leben ihr aufbürdete.
«Wenn dein Mann später fremdgeht, machst du ihm keine Szene», so hatte ihre Mutter angefangen. Und Audrey, mit fünfzehn noch weit davon entfernt, sich Gedanken um ihre Zukunft als Ehefrau zu machen, hatte ihre Mutter verwirrt angeschaut. Aber ihre Mutter fuhr unbeirrt fort: «Es gehört sich nicht, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Solltest du ihn bei einer Dinnerparty dabei erwischen, dass er sich einer anderen Frau gegenüber nicht angemessen verhält – und du wirst es merken, wenn er das tut, wenn da also etwas ist, das nicht sein soll –, wirst du dich jeglichen Kommentars enthalten. Und
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