Am Fuß des träumenden Berges
die beiden Schrankkoffer bereits neben dem Paravent, und ein junges Mädchen mit kaffeebrauner Haut im schwarzen Dienstmädchenkleid und mit weißer, raschelnder Schürze stand daneben und hielt den Blick gesenkt.
«Ich bin Mary. Mr. Ricket hat mich zugeteilt, damit ich Ihnen zur Hand gehe. Darf ich Ihnen helfen, Ma’am?», fragte sie. Ihre Stimme war leise und so zart wie ihre schmale Gestalt.
Audrey stellte ihre kleine Reisetasche mit den wichtigsten Habseligkeiten – dem Dickens und den Fotos ihrer Familie – auf die Bank am Fußende des Betts. «Oh, das ist … danke. Ich weiß gar nicht, wie lange ich Zeit habe? Ich bin müde.»
«Sie haben noch Zeit bis zum Empfang im Haus des Gouverneurs. Wenn Sie sich hinlegen möchten, bin ich Ihnen gern behilflich.»
«Danke, Mary. Weck mich bitte in einer Stunde, ja?»
Nachdem Mary ihr Korsett gelockert hatte und sie allein war, legte Audrey sich aufs Bett. Hier in Nairobi war es längst nicht so schwül wie in Mombasa. Immer noch heiß, aber sie hatte nicht mehr das Gefühl, jeder Lufthauch klebe auf ihrer Haut.
Nach der Stunde klopfte Mary leise und half Audrey beim Umziehen. Sie war ganz still und in sich gekehrt, und sie weinte verstohlen. Audrey fragte nicht. Mary war nur ein Dienstmädchen. Wenn ihr Herr sie zurechtgewiesen hatte, ging es Audrey nichts an. Sie war Gast in diesem Haus, eine Fremde in diesem Land. Millie hätte sie daheim doch auch gefragt, was los sei. Oder Emma. Aber hier?
Zum Haus des Gouverneurs fuhren sie nicht mit einem Kastenwagen, sondern in drei Laufrikschas. Die jungen, schwarzen Männer, die die Rikschas zogen, bewegten sich wie Schatten in der Dunkelheit. Das Scharren ihrer Füße vermischte sich mit ihrem lauten Keuchen. Audrey saß mit Matthew in einer Rikscha, in der zweiten folgten Tante Rose und Onkel Reggie dichtauf.
Matthew nahm ihre Hand und drückte sie. «Alles in Ordnung?», fragte er.
Sie nickte. «Es ist alles so aufregend.»
Er lachte, und seine Zähne blitzten im Dunkeln. «Dann warte nur, wie aufregend es erst im Haus des Gouverneurs wird. Er ist berüchtigt für seine rauschenden Feste. Die Menschen hier sind ein feiner Schlag. Pioniere, Gelehrte und Jäger. Du wirst hier bestimmt bald Freunde finden.»
Zunächst war da Gwendolen Girouard, die zarte, helle Herrin des Hauses. Sie begrüßte an der Seite des Gouverneurs die Gäste, und als Audrey ihr vorgestellt wurde, umfasste sie Audreys Hände und drückte sie. «Willkommen in Ostafrika», sagte sie, und ihre Stimme war warm und herzlich. Ihre Hände aber lagen kühl und spröde auf Audreys, und der Duft nach Zitronenverbene umhüllte sie wie ein Schleier.
«Vielen Dank», sagte Audrey verwirrt.
«Ich hoffe, Sie werden hier in Afrika glücklich. Wir waren ja alle so gespannt, Sie kennenzulernen. Matthew ist ein wichtiges Mitglied unserer kleinen Gesellschaft hier in Ostafrika, und als er erzählte, aus England käme in Kürze seine Braut, waren wir alle ganz aus dem Häuschen.» Verschwörerisch schob sie sich näher an Audrey heran. «Unter uns, es gab einige junge Frauen, die sich Hoffnungen gemacht haben, sie könnten Matthews Herz gewinnen.»
Audrey war verwirrt. Aber hatte man ihr nicht erzählt, in Ostafrika gäbe es nicht genug Frauen, dass Matthew eine fand? Doch bevor sie diesem Gedanken weiter nachgehen konnte, trat Gouverneur Girouard zu ihnen und begrüßte sie. Er hatte einen feinen Akzent, den Audrey nicht recht einordnen konnte, vielleicht französisch, aber nicht so gequält wie bei vielen Franzosen, die sich mit der englischen Sprache abmühten, als sei sie eine Strafe. Sie erfuhr später, dass Percy Girouard aus Kanada stammte.
Das passte. Ein friedfertiger, ruhiger Zeitgenosse. Nicht laut und polternd, sondern besonnen und gefasst. Der Gegenpol zu Tim Ricket, der sich sofort nach der Begrüßung auf einen Boy stürzte, der ein Tablett hielt, das erste Glas Champagner noch neben dem schwarzen Jungen stehend kippte und dann mit Glas Nummer zwei und drei im Gedränge verschwand.
Audrey nahm ein Glas Champagner, als es ihr angeboten wurde. Auch Tante Rose und Onkel Reggie waren verschwunden – Letzterer, so fürchtete sie, um das Haus zu erkunden. Nur Matthew blieb neben ihr.
Nein, nicht nur. Sie war froh um ihn. Er stand neben ihr, während Dutzende fremde Gesichter an ihr vorbeizogen. Man machte sich mit ihr bekannt, die Damen lobten ihr wunderschönes Kleid, an dem Audrey nichts Besonderes fand. Erst später erfuhr sie, dass
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