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Am Fuß des träumenden Berges

Am Fuß des träumenden Berges

Titel: Am Fuß des träumenden Berges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Peters
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gewehrt!» Audrey blieb stehen. «Sie wollte das nicht, sie …»
    «Ist schon gut. Ich glaub dir ja. Und mir ist’s recht, wenn wir sie mitnehmen nach The Brashy. Wenn du nur glücklich bist.»
     
    Am nächsten Morgen fragte Tim Ricket beim Frühstück ganz beiläufig, als sei ihm der Gedanke gerade erst gekommen, ob Audrey nicht daran interessiert sei, Mary mitzunehmen. «Sie können ein Dienstmädchen brauchen, nehme ich an.»
    «Können Sie sie denn entbehren?», fragte Audrey.
    «Ich werde sie natürlich vermissen», räumte Mr. Ricket ein. «Aber ich sehe auch, dass eine junge Frau wie Sie für das Mädchen mehr Verwendung hat als ich alter Mann.» Er grinste so selbstzufrieden, dass Audrey genau wusste, woran er konkret dachte.
    Sie lächelte schmal. «Dann nehme ich sie gern mit.»
    Am selben Nachmittag brachen sie auf. Zehn Tage waren sie unterwegs, über unwegsames Gelände, durch ausgetrocknete Flussbetten, vorbei an einzelnen Schirmakazien, die nur wenig Schatten spendeten. Zehn Tage Richtung Norden, die meiste Zeit auf dem Kastenwagen zusammen mit Onkel Reggie und Tante Rose – die nicht mehr viel sprachen, weil die Reise sie erschöpfte – und manchmal auf dem Rücken einer kleinen, flinken Stute, die Matthew mitführte.
    Audrey war noch nie geritten, und als Matthew sie am Tag ihrer Abreise aus Nairobi in den Stall führte und sie mit der Stute bekannt machte, hatte sie sich rundweg geweigert, es ausgerechnet jetzt zu lernen.
    Es war alles viel zu viel.
    Dieses fremde Land, die Hitze, so viele neue Menschen – sie stieß an ihre Grenzen.
    Also brach sie im Stall in Tränen aus.
    Matthew nahm sie nicht in den Arm. Er stand neben ihr in der Box der wunderschönen, braunen Stute, die auf den malerischen Namen Cladonia hörte, und hielt ihre Zügel. Mit der Stiefelspitze schob er das Stroh hin und her, und nur ihr erschöpftes, leises Schluchzen war zu hören.
    «Geht es wieder?», fragte er, nachdem sie sich beruhigt hatte. Und sie lächelte tapfer und versicherte ihm, dass alles in Ordnung sei, es sei nur eben im Moment
zu viel
für sie. Auf dem Empfang des Gouverneurs hatte sie erlebt, wie alle sie anstarrten wie ein fremdes Tier, und Renata hatte Matthew schöne Augen gemacht, und die Vorstellung, jetzt auch noch nach The Brashy reiten zu müssen, war der berühmte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte.
    Trotzdem hatte sie ihm versprochen, es wenigstens zu versuchen. Alles war nur Versuch – reiten, die Wahrheit sagen. Aber er hatte vor ihr ebenso Geheimnisse wie sie vor ihm. Das war also nur gerecht.
    Am dritten Tag saß sie zum ersten Mal im Sattel. Cladonia war trittsicher und brav, und die meiste Zeit ging es nur im Schritt voran. Schnell gewöhnte Audrey sich daran, obwohl hier in Ostafrika wohl keine Rücksicht auf die Befindlichkeiten einer Dame genommen wurde. Einen Damensattel gab es nicht, und weil sie kein Reitkleid besaß, rutschte der Rock hoch, und man konnte mehr als nur eine Handbreit ihrer Stiefel sehen. Sie schämte sich dafür, und es war unbequem. Als sie abends aus dem Sattel stieg, war ihr Körper ganz steif von der ungewohnten Anstrengung.
    Das Schlimmste waren aber für sie die Nächte. Es gab unterwegs nicht immer Farmen befreundeter Engländer, die gerne Gäste hatten. Meist campierten sie auf offener Savanne in Zelten. Nachts lag Audrey hellwach in ihrem Schlafsack und lauschte auf die seltsamen Geräusche – ein Sirren lag in der Luft, der Wind raschelte im trockenen Gras, und mehr als einmal glaubte sie, in der Ferne einen Löwen brüllen zu hören.
    Tagsüber vergaß sie diese Angst vor den wilden Tieren. Tagsüber war Matthew an ihrer Seite. Er hatte ein Dutzend Kikuyu in Nairobi angeheuert, die ihre kleine Reisegesellschaft begleiteten. Diese Männer waren immer zur Stelle, wenn Audrey etwas brauchte, sogar, wenn sie sich im Busch erleichtern musste. Spätestens am Abend konnte sie es nicht länger verhindern, und jedes Mal begleiteten zwei der Kikuyu sie. Einer von ihnen hatte eine Schaufel dabei, der andere ein Gewehr. Audrey empfand es als schrecklich erniedrigend, sich hinter die Rücken zweier junger Schwarzer zu hocken. Schlimmer war nur noch, dass der mit der Schaufel sich anschließend an ihr vorbeischob und ihre Notdurft mit Erde zudeckte. Dann dachte sie manchmal, sie müsse sterben vor Scham.
    Am elften Tag erreichten sie endlich The Brashy. Schon vor Tagen war die Landschaft stetig grüner geworden, üppiger und

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