Am Fuß des träumenden Berges
ihr Ältester brav ins Bett und schlief sofort ein. Thomas lag im Babybettchen unter seinem Netz und schlief bereits.
Audrey ging zurück auf die Veranda. Sie hüllte sich in ein wärmendes Schultertuch und saß in der Dunkelheit. Sie musste allein sein. Ihr Herz beruhigen, das seit der Nachricht vom Ausbruch des Gelbfiebers vollkommen aufgewühlt war.
Wäre doch nur Matthew hier. Ein Wort von ihm, eine Umarmung, und ich wüsste, dass alles wieder gut wird.
Aber er war nicht hier. Und wer wusste schon, wann er zurückkam? Zu Weihnachten, hatte er versprochen, aber das war wohl nur ein Wunsch gewesen, die Hoffnung, den Deutschen schnell einen gehörigen Dämpfer zu versetzen und dann siegreich heimzukehren. Stattdessen waren die Nachrichten, die aus dem Süden kamen – selten genug, und noch viel seltener drangen diese Nachrichten bis nach The Brashy vor –, eher entmutigend. Die Briten bezogen Prügel.
Der Himmel spannte sich sternenhell über das Land. Audrey atmete tief durch. Es war die Zeit des Jahres, in der es überhaupt nicht mehr abkühlen wollte. Die kleine Regenzeit im Januar würde nur wenig Abhilfe schaffen, das wusste sie schon jetzt.
«Memsahib?»
Sie schrie auf.
«Entschuldigung, Memsahib. Ich bin’s, Kinyua.»
Jetzt erkannte sie auch seine Gestalt. Das Weiß seiner Augen war das einzig Helle, und als er den Mund öffnete, glaubte sie seine Zähne aufblitzen zu sehen. Aber er lächelte nicht.
«Ich glaube, du solltest kommen, Memsahib. Es ist Mukami.»
«Himmel, Kinyua. Du hast mich aber erschreckt.» Sie stand auf. Ihre Knie waren weich, und sie glaubte, keinen Schritt tun zu können. Was hatte sie denn gedacht, wer ihr nachts auflauerte? Die Deutschen? Wohl kaum.
«Sie hat so hohes Fieber, und sie phantasiert.» Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: «Ich fürchte um sie.»
«Ich hole meine Tasche. Warte hier.»
Sie eilte ins Haus.
Seit sie auf The Brashy die Hausherrin war, hatte sie sich im Laufe der Zeit einige Fertigkeiten in Erster Hilfe angeeignet, und im Schlafzimmer stand immer eine Tasche mit einer Notfallapotheke bereit, falls sie zu den Kikuyu gerufen wurde. Vieles konnten die Leute allein mit ihrer Naturmedizin lösen. Aber bei manchen Verletzungen oder wenn jemand ernsthaft krank wurde, riefen sie Audrey. Dass die weiße Frau oft nicht viel ausrichten konnte, störte die Kikuyu nicht. Für sie war Audrey der letzte Strohhalm, ehe sie sich ganz in Ngais Hände gaben.
Es musste schlimm stehen um Mukami.
Da lag Panik in Kinyuas Stimme. Er war kein Mann, der seine Angst offen zeigte, das tat kein Kikuyu. Aber sie kannte ihn inzwischen gut genug, um zu wissen, wann er sich ängstigte.
Sie weckte Mary und sagte ihr, sie werde noch mal weggehen. Mary war sofort hellwach. Sie setzte sich auf und versprach, auf die Kinder aufzupassen.
Audrey trat aus dem Haus. Kinyua war auf die Veranda getreten. Er packte ihre Hand und zog sie einfach mit sich. In der Schwärze der Nacht stolperte sie hinter ihm her, und einmal wäre sie fast gestürzt. Es war ihr ein Rätsel, wie er im Dunkeln überhaupt etwas sehen konnte.
Zehn Minuten liefen sie so durch den Busch, und Audrey fragte sich schon, ob sie sich verirrt hatten, als vor ihnen die Umrisse der ersten Hütten auftauchten. Kein Licht brannte im Dorf.
Sie kamen an zwei Kriegern vorbei, die stumm und reglos Wache standen. Kinyua flüsterte etwas, und die beiden Männer bewegten sich kaum merklich, als erwiderten sie seinen Gruß.
Er führte Audrey zu einer kleinen Hütte am Rand des Dorfs. Sie traten nacheinander ein. Drinnen war die Decke so niedrig, dass Audrey kaum stehen konnte.
Kinyua hockte sich hin. In der Mitte des einzigen Raums glomm ein Feuer aus Ziegenmist, das er rasch schürte. Dann zeigte er auf das kleine Bündel, das reglos auf dem Boden direkt neben dem Feuer lag.
«Sie zittert, als hätte sie von der Kälte des träumenden Bergs gekostet.»
Schüttelfrost. Das war nicht gut. Mukami musste wirklich hohes Fieber haben.
Audrey ging neben der Kranken in die Knie. Ihre Augen hatten sich an das spärliche Licht gewöhnt. Sie tastete nach Mukamis Stirn, die kalt, verschwitzt und zugleich glühend heiß war.
«Ich gebe ihr etwas gegen das Fieber.» Sie nahm ein fiebersenkendes Pulver aus der Tasche und gab es Kinyua. «Alle sechs Stunden – weißt du, wann sechs Stunden rum sind?»
Er nickte. «Ja, Memsahib. Der Tag hat viermal sechs Stunden.»
«Gut. Dann gib ihr alle sechs Stunden etwas davon in Wasser
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