Am Fuß des träumenden Berges
aufgelöst. Einen Löffel voll. Hast du einen Löffel?»
Er schüttelte den Kopf. «Keine Löffel wie du.»
«Ich schicke Kamau mit einem Löffel. Mehr kann ich für sie nicht tun.»
«Danke, Memsahib. Ich bringe dich zurück, Memsahib. Dann brauchst du Kamau nicht zu schicken. Es ist zu dunkel, du siehst nichts.»
Audrey warf einen letzten Blick zurück, ehe sie die Hütte verließ.
Armes Ding, dachte sie betrübt. Es wäre ein Wunder, wenn Mukami die Nacht überlebte.
Die Nacht war nicht still in diesem Teil der Welt. Wenn Audrey an ihre Heimat dachte, an das Rauschen des Meers, das nachts alles war, was man hörte … Die kenianische Nacht war voller Geräusche. Der Wind, den sie nicht auf dem Gesicht spürte, bewegte die Bäume leise, und im Unterholz raschelte kleines Getier. In der Ferne hörte sie das Grollen des Löwen, und unwillkürlich tastete sie nach Kinyuas Hand.
Er drückte sie einmal ganz fest. Dann ließ er wieder los, als habe er sich an ihr verbrannt. Sie zog fröstelnd die Strickjacke enger um ihre Schultern. Trotz der Hitze war ihr kalt.
Sie erreichten wohlbehalten das Haus, und Audrey holte ihm einen Löffel aus der Küche. «Du kannst ihn behalten», sagte sie.
«Danke, Memsahib.» Er blieb vor der Veranda stehen, und sie meinte, er wolle ihr noch irgendwas sagen. Doch dann nickte Kinyua und gab sich einen Ruck. «Gute Nacht, Memsahib. Es war gut, dass du kommen konntest. Ich bin sicher, jetzt wird sie gesund.»
«Das wünsche ich mir sehr, Kinyua.»
Erst nachdem er im Dunkeln verschwunden war, ging sie zurück ins Haus. Die Tür zum Kinderzimmer stand offen, und Chris’ Bett war leer. Thomas schlief friedlich. Er hatte sich freigestrampelt, und sie deckte ihn sorgfältig wieder zu und zog das Moskitonetz wieder um ihn.
Sie machte sich auf die Suche nach Mary und Chris. Manchmal konnte der Kleine nicht schlafen und hielt sie die ganze Nacht auf Trab.
«Mary?», rief sie leise.
«Hier!», hörte sie die Stimme des Kindermädchens aus ihrem Schlafzimmer. Audrey trat leise ein.
Chris lag quer in ihrem Ehebett, die Augen fest geschlossen, den Stoffbären an die Brust gepresst. Ohne Mister Trotzig konnte ihr Sohn nicht schlafen.
«Er hat nach dir gesucht, Memsahib.» Das Mädchen stand auf. Es hatte im Sessel gesessen und über Chris’ Schlaf gewacht.
«Armer Kerl. Ich musste ins Dorf, das Gelbfieber …»
«Ich hab davon gehört. Mukami ist krank.»
Woher sie das auch haben mochte. Aber zwischen den Feldarbeitern und den Hausdienern bestanden genug Verbindungen.
«Sie ist meine Freundin», fügte Mary hinzu.
«Armes Ding», sagte Audrey. «Sie ist sehr krank.»
«Aber du machst sie wieder gesund. Schlaf jetzt, Memsahib. Morgen schläfst du etwas länger, der Tag heute war für dich anstrengend.»
«Erstmal müssen wir den kleinen Mann hier in sein Bett legen.» Audrey hob Chris hoch. Er seufzte im Schlaf, und seine Arme legten sich um ihren Hals. Sie trug ihn ins Kinderzimmer. Mary folgte ihr mit Mister Trotzig.
Als sie Chris hinlegte, entdeckte sie am Halsausschnitt seines Nachthemds eine gerötete Schwellung. «Was ist das, Mary?», fragte sie.
Mary beugte sich über das Kind. Audrey spürte, wie das Mädchen sich versteifte, doch seine Antwort klang gelassen: «Sieht für mich wie ein Mückenstich aus, Memsahib.»
«Hat er denn nicht unter dem Netz gelegen?»
«Nicht die ganze Zeit, nein. Er hat getobt, ich hab ihn im Schoß gewiegt, bis er eingeschlafen ist.»
Audrey strich über die Rötung.
Das muss nichts heißen. Nur ein Mückenstich. Nichts Schlimmes. Ein harmloser Mückenstich, wie er im Laufe des Jahres schon Dutzende gehabt hat.
Sorgfältig legte sie die Netze um das Bett. «Lassen wir ihn schlafen», sagte sie leise.
Falls er von einer Gelbfiebermücke gestochen worden war, konnte sie nichts unternehmen.
Aber in dieser Nacht fand sie zum ersten Mal keinen Schlaf. Sie wanderte hin und her, sie versuchte zu lesen, aber nichts half. Immer wieder schlich sie ins Kinderzimmer und legte die Hand auf Chris’ Stirn, die kühl und verschwitzt war.
Es ist nichts, redete sie sich ein.
Die Memsahib hatte Mukami das Leben gerettet. Davon waren alle Dorfbewohner überzeugt. Die Memsahib und Ngai hatten für Mukami entschieden.
Danach wurde es für Mukami leichter. Sie hatte seit Jahren um Anerkennung kämpfen müssen, und keiner hatte sie ihr geben wollen. Aber wenn die Memsahib ihr Leben rettete, wenn sie das überlebte, was so viele das Leben kostete, hatte
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