Am Fuß des träumenden Berges
gezeigt hatte. In den letzten Wochen vor seiner Abreise jedenfalls keinen. Sie zögerte.
Wenn ich den Brief nun nicht kenne, verletze ich seine Privatsphäre. Aber warum hat er ihn mir nicht gezeigt, wenn er mir doch bisher sonst alle Briefe von Celia zu lesen gegeben hat?
Oder hat er mir gar nicht alle Briefe von ihr gezeigt, sondern nur die, von denen er glaubte, ich könne sie ruhig lesen?
Sie drehte den Brief in den Händen hin und her. Er war nicht an The Brashy adressiert, sondern an den Muthaigaclub. Es gab viele Siedler, die sich wichtige Post dorthin schicken ließen und sie jedes Mal bei ihrem Aufenthalt in der Stadt dort abholten.
Warum lässt er sich Celias Post nach Nairobi schicken?
Entschlossen klappte sie die Kiste zu.
Wenn Matthew meinte, dieser Brief ginge sie nichts an, wollte sie das auch respektieren.
Aber wie eine schwärende Wunde setzte sich bei ihr der schreckliche Gedanke fest, dass Matthew ein Geheimnis vor ihr haben könnte. Sie verließ das Arbeitszimmer, und weil sie immer noch nicht schlafen konnte, genehmigte sie sich im Wohnzimmer ein Schlückchen Sherry. Sie schlich durch das Haus und blieb vor dem Kinderschlafzimmer stehen. Die Tür war nur angelehnt. Sie stieß sie weiter auf und lauschte auf das regelmäßige Atmen ihrer Söhne.
Er darf Geheimnisse vor mir haben. Es ist nichts Schlimmes daran.
Andere Männer hielten sich in Nairobi eine Geliebte, reisten sogar mit ihr durch die Welt. Sie musste gegen ihren Willen lachen, weil sie an Fanny und ihren Jack denken musste. Oder an Fanny und Benedict.
Fanny ist so eine Frau, die sich von verheirateten Männern aushalten lässt, dachte sie. Und irgendwann ist sie wieder schrecklich unglücklich.
Sie beschloss, etwas zu unternehmen. Fanny musste zurück nach The Brashy, auch wenn sie sich hier so schrecklich langweilte, wie sie behauptete. Aber sie länger in der Stadt zu lassen, kam Audrey grausam vor.
Außerdem war Fanny – wenn sie auch einen leichtfertigen Lebenswandel führte – in jeder anderen Hinsicht ein Musterbeispiel an Anstand. Mit ihr im Haus würde Audrey sich bestimmt nicht trauen, noch einmal in Matthews Arbeitszimmer zu gehen und in seinen Sachen zu wühlen.
Entschlossen trank sie den Sherry aus, zog die Tür wieder zu und ging zu Bett. Schon morgen wollte sie alles für ihre Reise nach Nairobi in die Wege leiten.
«Wieso genau sollte ich mir das antun?»
Audrey seufzte. Sie hatte natürlich damit gerechnet, dass ihr Vorschlag bei Fanny nicht auf Gegenliebe stoßen würde.
Sie saßen im privaten Salon im Haus der Tuttlingtons beim Kaffee. Sie waren allein. Die anderen Frauen, die sich in der großen Villa eingenistet hatten, schnatterten im großen Salon und zerrissen sich vermutlich das Maul über sie beide – die eine halbe Deutsche, die andere mit zweifelhaften Verbindungen zu einem deutschen Offizier. Wahrscheinlich witterten sie Verrat.
Audrey stellte sich vor, wie sie von den anderen Frauen mit Mistgabeln und Fackeln vom Hof gejagt wurden. Sie lächelte und rückte Thomas zurecht, der auf ihrem Schoß eingeschlafen war. Chris hatte sie auf The Brashy unter Marys Obhut zurückgelassen.
«Wieso tust du dir das hier an?», antwortete Audrey mit einer Gegenfrage. Sie verzog das Gesicht. Der Kaffee schmeckte bitter. Auch an den Tuttlingtons ging der Krieg nicht spurlos vorbei. Sie rösteten ihren Kaffee immer noch selbst, doch er schmeckte längst nicht mehr so gut wie vor dem Krieg. Woher das wohl kam?, fragte Audrey sich. Vielleicht war ihnen der Röstmeister fortgelaufen, um im Krieg zu kämpfen, wie bei ihnen daheim der Verwalter.
Sie nahm sich vor, darauf zu achten, ob der Tee auch anders schmeckte. Minderwertige Ware zu produzieren wäre genauso schlimm, wie gar keinen Tee zu verkaufen – vielleicht sogar noch schlimmer, denn wenn sie Pech hatten, ruinierten sie so den Ruf von Winston’s Tea.
«Benedict passt auf mich auf», erwiderte Fanny.
«Benedict …» Audrey musste sich Mühe geben, nicht zu schnauben. Sie hielt ihn für einen Luftikus, einen Tagträumer. Er war seiner Schwester treu ergeben. Was Babette nicht guthieß, gab es für Benedict nicht. Und sollte Babette irgendwann etwas gegen Fanny sagen, würde er sie so schnell fallen lassen wie eine heiße Kartoffel.
Sofort fiel ihr wieder die Frage nach dem Verhältnis Matthews zu seiner Schwester Celia ein.
«Er ist für mich da. Soweit es ihm möglich ist», fügte Fanny hinzu.
«Ich habe schon einmal gesehen, wie ein
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