Am Grund des Sees
Sagt mir, was ich tun soll, irgendwas, ich bin bereit. Was muss ich tun?
Wie ein Zuchthäusler, der sich freiwillig als Versuchskaninchen für ein wissenschaftliches Experiment anbietet, nur um aus der Haft entlassen zu werden. Um seine Obsession loszuwerden, würde es vielleicht nicht reichen, wenn er diese Dokumente einfach verbrannte. Vielleicht musste er einen weiteren Mord begehen. Aber auch dazu war er bereit. Klar, Herr Doktor, nur zu, geben Sie mir die Spritze, hier bin ich!
Bei der Ausfahrt aus dem Tunnel unter dem Monte Ceneri schrillte das Mobiltelefon, das neben ihm auf dem Beifahrersitz lag. Er warf einen Blick auf das Display. Malfanti. Dieser kleine Dreckskerl, was wollte der denn jetzt. War ihm nicht klar, dass er sich in eine Sache einmischte, die mehrere Nummern zu groß für ihn war?
Calgari war verstimmt. Wenn Glück bedeutet, alles im Griff zu haben, dann reichte der Klingelton eines Telefons, um Gewissheiten ins Wanken zu bringen. Er wartete ab, bis der Apparat verstummte, dann schaltete er ihn aus.
Nach einer Weile fühlte er sich wieder besser. Wenn dieser Idiot Malfanti Ärger haben will, bitte. Vielleicht kann Contini, dieser finstere, mordende Detektiv, am Ende auch noch Malfanti umlegen. Keine schlechte Idee, oder?
Bitte, Herr Doktor, tun Sie’s jetzt, bringen wir’s hinter uns.
Durch das offene Fenster drangen Schnee und Kälte herein. Francesca schloss es. Der Polizist hatte sich entfernt. Okay, hatte er gesagt, als er ihr Führerschein und Fahrzeugausweis zurückgab. Und dann: Warten Sie kurz. Was sollte das bedeuten? Musste er was überprüfen? Francescas Führerschein war in Ordnung, der Fahrausweis für den Mitsubishi ebenfalls.
Wollte er etwa den Namen Elia Contini überprüfen?
Francesca und Contini berieten sich.
»Das kann doch nicht sein«, sagte sie. »Die sind wegen dem Schneechaos hier, die wissen nichts von dir!«
»Hm«, sagte Contini.
»Sicher kontrollieren sie meinen Führerschein.«
»Warum hat er ihn dir dann wieder gegeben? Nein, da ist irgendwas faul.«
»Aber was wird er denn tun?«
»Es reicht, wenn er in der Zentrale anruft. Sicher läuft eine Fahndung. Und dann nehmen sie mich fest. Und wenn sie mich festnehmen …«
Wenn sie hier festgehalten wurden, war seine letzte Hoffnung der Junganwalt Malfanti. Das reichte nicht. In genau diesem Moment waren auch Finzis Männer oder vielleicht Calgari selbst auf dem Weg nach Villa Luganese.
»Und was machen wir?«, fragte Francesca. »Wir können ja schlecht einfach abhauen, oder?«
»Wieso nicht? Jetzt zählt nur, dass wir nach Villa kommen.«
»Aber geh«, sagte sie. »Klar ist es riskant, wenn wir abwarten - aber vor der Polizei fliehen? Also ich weiß nicht …«
Der Polizist kam nicht zurück, und die Zeit, eine Entscheidung zu treffen, schrumpfte auf Sekunden zusammen. Contini wog das Für und Wider ab und kam zu dem Schluss, das Risiko sei zu hoch.
»Fahr«, sagte er.
»Was?«
»Fahr langsam los, als hätte er’s dir schon erlaubt. Wenn sie dich aufhalten wollen, beschleunigst du, als hättest du ihn nicht winken sehen.«
»Und wenn sie uns verfolgen?«
»Bei den Straßenverhältnissen? Außerdem sind sie dafür nicht zuständig.«
»Ach nein?«
»Du hast doch selber gesagt, dass sie wegen dem Schneechaos hier sind.«
»Hoffentlich.«
Francesca folgte Continis Anweisungen, fuhr langsam an und schaltete erst nach etlichen Metern die Scheinwerfer ein. Der Polizist, der sie kontrolliert hatte, saß in seinem Streifenwagen und telefonierte. Contini sah seine Miene, als ihn das Fernlicht blendete. Im ersten Moment war er wie erstarrt vor Verblüffung über solche Dreistigkeit. Dann rief er etwas in sein Telefon und sprang aus dem Auto. Mit dem linken Arm fuchtelnd.
Contini sah seine Lippen sich bewegen. Er drehte sich zu Francesca, die langsamer geworden war.
»Fahr weiter! Nicht stehen bleiben!«
Das Auto schlitterte. Für Sekunden verlor Francesca die Kontrolle über das Fahrzeug. Mit dem linken Kotflügel geriet sie in einen Schneehaufen, und ein Rad drehte durch. Aber im nächsten Moment machte das Auto einen Satz nach vorn, und Francesca gab Gas.
Nach wenigen Metern begann die Autobahnauffahrt.
»Bleib auf der Kantonstraße«, sagte Contini, »ich hab das Gefühl, dass bei der nächsten Ausfahrt wieder eine Kontrolle steht.«
»Aber dann brauchen wir ewig!«, protestierte Francesca.
»Das stimmt. Aber wenn sie uns aufhalten, kommen wir gar nie an.«
Und es schneite und
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