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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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zusammen - in den zweiten Gang herunterschalten, bremsen, rechts abbiegen nach Villa Luganese.
    Auf der Straße steht ein Mann. Eine Dienstjacke, orange leuchtend. Aber du lässt dich nicht aus der Ruhe bringen, du bist der Rechtsanwalt Calgari, du hast die Situation im Griff. Diese verfluchte Schweizer Effizienz: Draußen geht die Welt unter, Tonnen von Schnee legen alles Leben lahm, aber sie können nicht zu Hause bleiben, nein, sie müssen Alarme auslösen, phosphoreszierende Westen anziehen und mit Räumfahrzeugen herumgurken!
    Auf der Jacke des Beamten leuchtete die Aufschrift: ZIVIL-SCHUTZ / PROTECTION CIVILE / PROTEZIONE CIVILE. Sehr jung, der Typ, ein Knabe. Mit den Händen in der Tasche kam er auf Calgaris Auto zu. Ein zweiter stand ein Stück entfernt im Schnee und hielt ein Funkgerät in der Hand. Der Anwalt ließ die Fensterscheibe herunter und lächelte gewinnend. Der Knabe aber sah ihn gar nicht an, sondern schnauzte: »Die Straße ist gesperrt.«
    »Ich muss aber durch«, sagte Calgari, »ich wohne in Soragno, das ist wirklich nicht mehr weit!«
    »Es besteht die Gefahr, dass Sie von der Straße abkommen …«
    »Ich fahre sehr langsam.«
    »… oder im Schnee stecken bleiben.«
    Ein bartloser Jüngling, noch grün hinter den Ohren, aber das Maul aufreißen. Zeig ihm, wer du bist, schick ihn zum …
    »Keine Sorge.« Calgari lächelte abermals. »Ich beherzige Ihren Rat. Aber ich muss wirklich weiterfahren, verstehen Sie? Die Kinder sind allein zu Haus …«
    Der Schutzdienstler trat einen Schritt zurück und zuckte die Achseln. »Machen Sie doch, was Sie wollen.«
    Und der Rechtsanwalt Calgari fuhr durch dichtes Schneegestöber, auf einer ungeräumten Straße bergauf Richtung Villa Luganese.
     
    Während er seinen Kräutertee schlürfte, hatte De Marchi den Fernsehapparat eingeschaltet, der in einer Ecke seines Büros stand. Er drehte den Ton ab und sah auch auf dem Bildschirm nichts als Schnee: Bilder von weißen Straßen, von Bergdörfern, die mit Lawinenabgängen rechneten, von beschwichtigenden Sachverständigen und Polizisten.
    Ich bin so müde, ich will gar nichts mehr verstehen, dachte er.
    Aber De Marchi war auch Polizist, und sein Bedürfnis, Fälle zu lösen, war wie ein Trieb; er besiegte die Müdigkeit. Auch wenn er in diesem Fall nie auf seine Nase geachtet hatte, die ihm von Anfang an sagte: Schau in die Vergangenheit. Aber da waren ja auch noch die Presse und seine Vorgesetzten. Was also war zu tun? Hier geht es nicht um persönliche Rache, flüsterte seine Nase ihm zu, sondern um Geld, das ist ein schmutziges Spiel.
    Der Kommissär hatte die Ermittlungen gegen Contini geleitet. Das war auch richtig so: Schließlich führten alle Hinweise zu ihm. Oder zu Tommaso Porta, Continis Kindheitsfreund. Den psychologischen und den ballistischen Gutachten zufolge waren Zweifel ausgeschlossen. Inzwischen musste man davon ausgehen, dass Porta die beiden ersten Morde und eine andere Person die zwei weiteren begangen hatte. Contini und Porta waren wie Brüder: dasselbe Dorf, dasselbe Schicksal - früh verwaist, eine plötzlich und gewaltsam beendete Jugend, die ewige Suche nach der eigenen Identität. Und jetzt beide verstrickt ins Gespinst des Wahnsinns, wie berauscht von zu viel Einsamkeit, zu viel Fantasie.
    Warum aber protestierte De Marchis Nase noch immer? Sehr laut schrie sie ins Halbdunkel des stillen Büros - das stimmt nicht, rief sie, hier geht es um etwas anderes. Etwas Geheimeres, Schrecklicheres.
     
    Es gab einen Film, oder war es ein Buch, das Francesca als Kind gelesen hatte - Alarmstufe Rot , wenn sie sich richtig entsann. Männer mit Pelzmützen in einer kargen Felslandschaft, die Kautabak ausspien und »Sauwetter!« sagten. Und kam nicht auch ein Zug vor, der mitten durch ein Unwetter fuhr? Oder war das ein anderes Buch gewesen? Oder hatte es mehrere Folgen gegeben?
    Wie auch immer, der Monte Ceneri bei diesem Wetter hatte durchaus etwas von Alarmstufe Rot. Zwar war nicht mit angreifenden Grizzlybären zu rechnen, doch davon abgesehen empfand sie eine sehr reale Lebensgefahr - bei diesen Schneemassen konnten sie jeden Moment von der Straße abkommen und im Abgrund landen.
    Der Sturm drückte von allen Seiten gegen den Wagen, die Fensterscheiben, im Lichtkreis der Scheinwerfer wirbelten die Schneeflocken durcheinander wie in einem wild gewordenen Kaleidoskop. Sie fuhren unter einer Brücke hindurch, rechts tauchten die erleuchteten Fenster eines Hauses auf. Contini legte den

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