Am Grund des Sees
ist ein Narr, wer sich mit dem Nächstliegenden begnügt. Graben Sie nur, lieber Contini, graben Sie in der Vergangenheit.«
Giovanni Maltese, genannt John, war ein in sich ruhender Mann: Ihn brachte nichts aus dem Gleichgewicht. Im großen Zirkus der italienischen Schweiz treten allerhand Artisten auf, und jeder, der dort oben unter dem Zeltdach agiert, erobert sich sein Stück vom Drahtseil. John Maltese kannte alle Geheimnisse, hatte mit allen Gaunern verkehrt und, wie es hieß, mehr als einem Seiltänzer, der zu viel Aufhebens von sich machte, einen kleinen Stoß versetzt.
Auch mit Herrn Finzi war John Maltese gut bekannt.
»Ich hatte geschäftlich mit ihm zu tun«, ließ er Contini wissen. »Natürlich ist er alles andere als ein Heiliger. In der goldenen Zeit hat er einen hübschen Geldwäscherring auf die Beine gestellt, und ich glaube, er hat noch heute seine Kontakte in der Szene. Seine Masche besteht darin, schmutziges Geld in pseudowohltätige Unternehmen zu stecken und nachher mit getürkten Spenden und sonstigen Tricks wieder in den Kreislauf einzuschleusen.«
»Und was hat er genau getan?«
»Er hat die Existenz fingierter Wohltätigkeitsgesellschaften versichert. Zum Teil tut er das immer noch, allerdings mit leicht veränderten Methoden. In den Achtzigern war er Rechnungsprüfer bei verschiedenen Unternehmen, die landwirtschaftliche Betriebe und Umweltaktivisten subventionierten. Alles nur Nebelkerzen, wenn Sie mir die Metapher gestatten.«
»Also war Finzi der Betrüger, nicht sein Partner.«
»Ach, wie ich die Menschen kenne, waren sie’s wahrscheinlich beide. Ich nenne Ihnen das klassische Beispiel, das sogar die Journalisten kennen: 1996 verwaltete Finzi zusammen mit anderen eine Firma, die ein britischer Staatsbürger mit zwei Nigerianern gegründet hatte. Bei den Verhandlungen mit den Banken lieferten die zwei Nigerianer den Beweis, dass es keinerlei politisches Hinterland gab … wir reden von sechzig Millionen, und da gab es natürlich Kontrollen, verstehen Sie?«
»Klar.«
»Und 2001 fällt einer Schweizer Bank bei den Geldeingängen zufällig eine Übereinstimmung mit einem der Decknamen auf, unter denen die Söhne des früheren nigerianischen Diktators Sani Abacha operierten. Es gab einen Mordsskandal, und die MROS schaltete sich ein, die Meldestelle für Geldwäscherei in Bern. Ihr feiner Herr Finzi kam, wenn Sie mir die Metapher verzeihen, mit einem blauen Auge davon. Ich weiß letztlich nicht, was die Eidgenössische Bankenkommission … pardon?«
»Ich wollte nur wissen«, wiederholte Contini, »was das alles mit dem Staudamm von Malvaglia zu tun hat.«
John Maltese stieß einen langen Seufzer aus.
»Gute Frage, lieber Contini.«
Wie Contini und Maltese einander kennengelernt hatten und in welcher Beziehung sie standen, wusste niemand so genau. Jedenfalls hatten ihre Wege sich irgendwann gekreuzt, vielleicht auf einem Drahtseil, und wenn der Detektiv eine Information über irgendeine irgendwo in der Schweiz begangene - oder auch nur geplante - schmutzige Affäre brauchte, wandte er sich wie selbstverständlich an Maltese.
»Das Verbrechen setzt eine ordentliche Lehrzeit voraus«, philosophierte Maltese, der eine Schwäche nicht nur für Metaphern, sondern auch für Aphorismen hatte. »Glauben Sie denn, dass sie zur Geldwäscherei Offshore-Gesellschaften oder Briefkastenfirmen in Steuerparadiesen benutzen?«
»Also …«
»Das glauben die Journalisten. Holdings und Trusts helfen natürlich mit, die Spuren zu verwischen, aber die beiden Hauptprobleme bei der Geldwäscherei sind folgende: erstens die Einspeisung von Bargeld in die Waschstraße und zweitens die Integration des gewaschenen Gelds. Vor zwanzig Jahren stießen sich Finzi und sein Partner sozusagen die Hörner ab, indem sie nämlich mit einer selbst erdachten Methode experimentierten. Die Umstände der Einspeisung und der Integration sind mir noch nicht ganz klar, ich vermute nur, dass Letztere im Ausland erfolgt und zwar über einen fiktiven Investmentfonds … Aber ich schweife ab, oder?«
»Ja, um auf den Ausbau des Stausees von Malvaglia zurückzukommen …«
»Um Geld zu waschen, ist ein breites Spektrum an Geschäftstätigkeiten nötig. Viele benutzen Scheinladenketten - Pizzabäcker oder Luxusbekleidungsgeschäfte. Die Inszenierung kostspieliger Protestaktionen von Umweltschützern ist eine ziemlich originelle Methode.«
»Und was hat das Verschwinden von Martignoni und meinem Vater damit zu
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