Am Grund des Sees
die Aussichten nicht sehr rosig sind, aber es scheint mir doch eine gute Sache, für die es sich zu kämpfen lohnt …«
»Eine gute Sache? Aber schauen Sie, Signor Porta …«
»Verzeihen Sie, dass ich Sie unterbreche, Herr Rechtsanwalt. Natürlich gibt es auch den einen oder anderen konkreten Anhaltspunkt. Nehmen Sie zum Beispiel den Tod des Bürgermeisters Pellanda.«
»Was hat der damit zu tun?«
»Na, das bedeutet doch, dass irgendeine Intrige dahintersteckt, irgendwas Undurchsichtiges. Wieso hätte man ihn denn umgebracht?«
»Umgebracht? Angeblich ist er doch eines natürlichen Todes gestorben. Ein Schwächeanfall.«
» Angeblich - eben.« Tommi kicherte. »Und denken Sie außerdem an diesen Detektiv, diesen Elia Contini: Er läuft herum und stellt Fragen über den Staudamm, und das hat doch auch was zu bedeuten, oder?«
Calgari runzelte die Stirn.
»Ein Detektiv? Der ermittelt? Schauen Sie, ich habe nicht …«
»Ich kenne ihn nämlich, diesen Contini, und ich weiß, dass dort, wo er auftaucht, immer irgendwas faul ist.« Tommi starrte Calgari an, dann zwinkerte er mehrmals. »Ich würde Contini gern schreiben, denn …«
»Hören Sie …«
»… denn Sie müssen mir glauben, Herr Rechtsanwalt: Es dürfte noch allerhand passieren, was mit diesem Staudamm zu tun hat!« Tommi legte eine dramatische Pause ein. »Allerhand! Denken Sie an meine Worte.«
7
Allerhand
Giovanni Pellandas Leiche lag auf dem Stahltisch.
Der Raum war leer, und das weiße Neonlicht flackerte manchmal, als hätte plötzlich der elektrische Strom für einen Moment ausgesetzt. Von draußen war kein Laut zu hören. Dafür wehten von hinten, aus einem Lautsprecher neben einem Monitor in einer Ecke des Raums, leise die Klänge von Pergolesis Stabat Mater herüber. Der Monitor war schwarz. Giovanni Pellanda war nackt. Seine Augen waren weit aufgerissen, die Pupillen unter der eingetrübten Hornhaut leicht deformiert.
Als Paolo Pessina den Raum betrat, änderte sich nichts. Nach wie vor bildete Pergolesis Musik die Klangkulisse, und die Leiche rührte sich naturgemäß nicht. Aufblicken, reagieren, wenn jemand den Raum betritt, dachte Doktor Pessina, bedeutet Leben, bedeutet Neugier. Das Gegenteil ist eine nackte, reglose Leiche auf einem Stahltisch.
Als Pessina den Toten am Bachufer zum ersten Mal zu Gesicht bekommen hatte, war seine Hautfarbe ein brennendes Rot gewesen - eine Farbe, wie sie der Bürgermeister zu Lebzeiten gehabt haben mochte, wenn er in Gesellschaft von Freunden einen über den Durst getrunken hatte. Jetzt, nachdem man ihn auf diesen Tisch gelegt hatte, war der Tote wächsern und übersät von Leichenflecken.
Neben dem Tisch standen zwei Stahlgestelle, auf denen seine chirurgischen Instrumente bereitlagen. Pessina schaltete eine zusätzliche Lampe ein und richtete den Lichtstrahl auf die Leiche, dann nahm er für einen Moment die Brille ab und rieb sich die Augen. Er war ein untersetzter Mann mit einem runden Kopf wie Charlie Brown, und er war imstande, stundenlang mit höchster Konzentration zu arbeiten. Er setzte die Brille wieder auf und trat an den Tisch mit Pellandas Leiche. Die erste Phase der Obduktion besteht darin, den Toten von außen gründlich zu inspizieren und nach etwaigen Hautverletzungen und sonstigen Besonderheiten Ausschau zu halten. Abgesehen von der leicht geschwollenen Abschürfung im Nacken und anderen winzigen Schürfwunden im Gesicht fand er keinen Hinweis auf Gewaltanwendung. Sein Argwohn erwachte indes, als er eine Hand der Leiche untersuchte und Erde unter den Fingernägeln entdeckte. Und auf den Fingernägeln Kratzspuren, als hätte sich der Bürgermeister, bevor er starb, in den Boden gekrallt … Vielleicht hatte ihm jemand den Kopf unter Wasser gedrückt?
Pessina rief sich zur Ordnung. Bevor er Vermutungen anstellte, musste er die Obduktion in der feststehenden Reihenfolge abschließen: Durchführung des Y-Schnitts, Öffnung des Thorax, Entnahme und Beurteilung der Organe.
Mit äußerster Behutsamkeit begann Doktor Pessina den Thoraxschnitt zu setzen. Der Zustand von Herz und Lunge würde ihm verraten, wie der Mann gestorben war: Herzinsuffizienz, Ertrinken … die Organe bewahren immer eine Spur. Tatsächlich sah Pessina sofort, dass die Lunge trocken war: ein Hinweis darauf, dass das Gewebe das Wasser des Bachs resorbiert hatte. Außerdem stellte er eine Erweiterung der oberen Atemwege fest und vermutete eine Ballonierung der Lunge. Es wies also alles auf Tod durch Ertrinken
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