Am Grund des Sees
leergefegten Straßen, die vom blauen Flackern der Fernsehapparate erleuchteten Fenster vor. An diesem Abend würde er endlich die alte Desolina treffen und nach ihren Erinnerungen befragen.
Zuerst aber musste er noch einen Brief schreiben.
Amedeo Finzi legte auch im Winter Wert auf gebräunte Haut. Nicht aus Eitelkeit: Es kam bei den Kunden einfach gut an, wie er festgestellt hatte. Das Sportlich-Lässige an ihm - T-Shirt und lange Haare, die Gesichtsbräune - in Kombination mit seinem Auftreten als Geschäftsmann und Profi war eine recht wirkungsvolle Mischung. Finzi kämpfte Tag für Tag gegen Haie, und Jackett und Krawatte brauchte er dafür nicht. Wesentlich war vielmehr, dass er mit jeder Geste Autorität und Macht ausstrahlte.
Der Staatsanwalt Attilio Rodoni trug hingegen eine Krawatte, und er sprach mit der Behutsamkeit eines entwaffneten Jägers im Angesicht eines Nashorns. Dabei hatte er, das war Finzi klar, durchaus noch Trümpfe in der Hand: Die Partie verlangte viel diplomatisches Geschick.
»Ich verstehe wirklich nicht, warum ich in diese Ermittlung einbezogen werde.«
»Gott bewahre!« Rodoni hob abwehrend beide Hände. »Sie werden doch nicht einbezogen, Signor Finzi, das fehlte noch. Allerdings …«
Aha, dachte Finzi, sind wir so weit.
»Allerdings«, sagte der Staatsanwalt, »könnte die Ermittlung gewisse Aspekte berühren, die uns in die Vergangenheit zurückführen. Zu diversen Versuchen, die damalige Erweiterung des Stausees von Malvaglia zu verhindern.«
Finzi ließ ihn reden.
»Fakt ist, dass Sie und etliche Bürger von Malvaglia bei dem damaligen Rechtsstreit Bürgermeister Pellanda und den Ingenieur Vassalli als Gegner hatten. Außerdem verschwanden um dieselbe Zeit Ihr Teilhaber Luigi Martignoni und Ernesto Contini.«
»Ja, und?«, fragte Finzi.
»Fakt ist außerdem, dass sowohl Pellanda als auch Vassalli jetzt tot sind und dass der Sohn von Ernesto Contini mit beiden kurz vor ihrem Tod noch zu tun hatte. Er war auch bei Ihnen, Signor Finzi, und es steht eine neuerliche Erweiterung des Stausees an und … Die Lage ist unübersichtlich, das gebe ich zu, aber vielleicht …«
»Vielleicht?«
»Vielleicht lässt sich in der Vergangenheit ein Hinweis finden, der uns weiterhelfen könnte.«
»Sie wollen also …«
»Nichts Spezielles …«, sagte Rodoni mit einer unbestimmten Geste. »Ich möchte nur wissen, was Contini von Ihnen wollte, und außerdem würde ich gern in die alten Akten Einblick nehmen, ich will wissen, wer die damaligen Erweiterungsgegner waren, woher sie kamen … ähm … woher das Geld kam … und …«
»Verstehe«, sagte Finzi. »Das scheint mir nur recht und billig. Contini kam nach dem Tod des Bürgermeisters zu mir und war eher zurückhaltend: Auch er wollte wissen, was damals war, aber nichts Genaues. Er war ziemlich kurz angebunden, fast schon unhöflich, und ich hatte das Gefühl, dass er insgeheim eine Mordswut auf die Leute hat, die den weiteren Ausbau des Stausees betreiben.«
»Sie hatten das Gefühl, dass er eine Wut hatte?«
»Genau. Wut, Ressentiment, nennen Sie es, wie Sie wollen. Ich versuchte ihn zu beschwichtigen, ich wollte ihn sogar engagieren, damit er mir hilft, Licht in diese Sache zu bringen. Denn sehen Sie, für einen Geschäftsmann wie mich ist es nicht gerade hilfreich, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, vor allem wenn es um Mord geht …«
»Ja, klar, das kann ich mir vorstellen.«
Nun gab Finzi die Richtung vor. Contini habe seine Versöhnungsgeste abgelehnt, erklärte er und versprach, den Ermittlern alle Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die sie brauchten. Dann begleitete er den Staatsanwalt zur Tür und verabschiedete sich herzlich, nicht ohne sich zuvor nach dem Befinden von Frau und Kindern erkundigt zu haben.
An den Schreibtisch zurückgekehrt, rief er über die Gegensprechanlage Passalacqua zu sich.
»Hast du mitgehört?«, fragte er.
Passalacqua nickte und nahm auf der Sesselkante Platz.
»Weißt du, Amedeo, ich bin beunruhigt.«
»Ja, das sagtest du bereits. Aber verdammt!«, rief Finzi aus und hieb mit der Faust auf seinen Schreibtisch. »Das ist doch alles Schnee von gestern! Zwanzig Jahre, Mann!«
»Aber wenn sie bestimmte Unterlagen genauer unter die Lupe nehmen …«
»Schon recht!« Finzi rollte seinen Stuhl zurück und streckte die Beine aus. »Pellanda und Vassalli sind ja jetzt tot.«
»Eine scheußliche Sache«, murmelte Passalacqua kopfschüttelnd. »Das wird keinem unserer
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