Am Grund des Sees
Ferry Terminal sein Auto parkte. Wenn im Tessin ein Skandal ans Licht kam, wie jetzt im Zusammenhang mit dem Staudamm zu befürchten stand, war Finzi erledigt. Er prüfte etliche Unterlagen in seiner Aktenmappe, zog seine Krawatte wieder fest und stieg aus.
Das Terminal war ein quadratisch angelegter Bau mit einem roten, spitz zulaufenden Dach wie eine Pagode. Ringsum herrschte ein ständiges Kommen und Gehen von Touristen und Einheimischen, Verkäufern und Seeleuten auf Landgang. Sutter sah Finzi schon aus der Ferne im Schatten an einer Mauer des Terminals lehnen. Neben ihm bot ein langhaariger Fotograf Touristenaufnahmen im Reggaestil an: mit Rastaperücke und falschem Joint; er winkte dem näher kommenden Sutter verstohlen zu.
Gut, dachte Sutter. Das Netz ist ausgeworfen. Nach den von Joachim am Flughafen angebrachten Mikrofonen hatte jetzt der Fotograf übernommen. Finzi wurde rund um die Uhr überwacht.
Die beiden Männer begrüßten einander knapp und sachlich. Sutter wollte nicht wissen, wie die Reise gewesen war, und Finzi wollte nichts erzählen. Sie gingen in Pusser’s Outpost, ein Lokal direkt gegenüber dem Terminal, in dem immer lebhafter Betrieb herrschte: Man aß dort Pizza und Hamburger und trank dazu aus Großbritannien importierten Rum, der in hölzernen Bechern serviert wurde und die Touristen in wilde Piraten verwandelte. Hier konnte man sogar schwarze Augenklappen erstehen.
»Und?«, fragte Sutter, nachdem er zwei Pints bestellt hatte.
»Ich bin ein bisschen ratlos«, gestand Finzi. »Es wäre wirklich notwendig, etwas Solides zu organisieren. Meine Kunden kriegen kalte Füße.«
»Und du?«
»Ich ebenfalls. Du weißt ja, wenn sie anfangen, die Vergangenheit aufzurollen …«
»Hast du Angst, dass sie Martignoni finden?«
Finzi sagte nichts. Sutter sah ihn mit seinen aus tiefer Surferbräune hervorstechenden himmelblauen Augen an und wartete höflich die Antwort ab.
»Aber nein«, sagte Finzi schließlich.
Sutter hob schweigend die Brauen.
»Schau, was weiß denn ich, was aus Martignoni geworden ist.« Auf Finzis Stirn und Schläfen glänzte Schweiß. »Natürlich frag ich mich … So oder so, ich sitze in der Bredouille.«
»Aber Martignoni wusste nichts von deinen Transaktionen, oder?«
»Das ist zwanzig Jahre her! Er wusste nichts, aber ich hätte ihn überredet … Du glaubst doch wohl nicht, dass ich ihn umgebracht habe?«
»Was ist dann aus ihm geworden?«
»Das weiß ich nicht! Das Problem ist nicht Martignoni, sondern es besteht die Gefahr, dass sie die Sache mit den Finanzierungen herausfinden. Gibt es denn keine Möglichkeit, die Spuren ein für alle Mal verschwinden zu lassen?«
Signor Sutter gestattete sich einen geduldigen Seufzer und einen ausgiebigen Schluck Bier. Ringsum redeten und schrien die Leute auf Englisch, Spanisch, Holländisch durcheinander, zwischen den Tischen im Kolonialstil bewegten sich Fragmente versprengter Völker: verschwitzte Kinder und elegante Männer mit Wolfsaugen, schöne Frauen und blonde Aussteiger aus Europa. Sutters Wanzen waren zum Glück leistungsstarke Mikrofone, die jedes hier gesprochene Wort aufzeichneten. Er sah Finzi fest an und sagte leise: »Ich soll deine Wirtschaftsverbrechen von vor zwanzig Jahren verhehlen?«
»Ich muss jeder Überprüfung standhalten können.«
»Schau, lieber Finzi, ich kann da wirklich nichts tun.« Sutter hob bedauernd die Hände. »Wenn du Spuren hinterlassen hast, ist es jetzt zu spät. Wir können lediglich deine gegenwärtigen Transaktionen sichern.«
»Was hast du vor?«
»Wir lassen die Firmen verschwinden, an denen du Beteiligungen hast, und gründen neue, mit anderen Prokuristen, die keine Verbindungen zu deiner Treuhandgesellschaft haben.«
»Ist das wirklich unumgänglich?«
»Nun …« Sutter legte seine Aktentasche auf den Tisch und nahm einige Unterlagen heraus. »Ich habe Freunde in der Schweiz, weißt du. Und die teilen mir mit, dass deine Kunden nicht sehr zufrieden sind. Du weißt sicher, weshalb?«
Sutter erwartete keine Antwort, ließ die Frage aber einen Moment im Raum schweben.
»Sie befürchten, mit hineingezogen zu werden«, fuhr er dann fort. »Schau, diese Post kommt von unserem Kontaktmann in London.« Er reichte ihm einen Stoß Papiere. »Darunter sind einige deiner früheren Geschäftspartner, die wegen der Martignoni-Sache Bedenken haben. Und anscheinend wären manche nicht abgeneigt, dir jetzt eins auszuwischen …«
»Wie bitte?« Finzi fuhr zusammen und stieß
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