Am Grund des Sees
war auch die Atmosphäre turbulenter als sonst. Jedenfalls machte Amedeo Finzi auf dem gesamten Flug praktisch kein Auge zu und war froh, als sie in San Juan landeten. Viel Zeit hatte er nicht, aber für eine flüssige Stärkung reichte es noch, bevor sein Anschlussflug nach Saint Thomas ging.
Er übernachtete in einem schäbigen Hotel in der Nähe des Flughafens und musste am nächsten Tag feststellen, dass es keine Direktflüge nach Tortola gab. Nachdem er mit dem halben Flughafenpersonal gestritten hatte, bekam er schließlich einen Flug der LIAT (Leave for the Islands Anytime) nach Virgin Gorda.
Klimaschock, Jetlag und Schlafmangel hatten seine Nerven bloßgelegt. Dementsprechend ungut verlief die Begegnung mit einem puertoricanischen Taxifahrer, der glaubte, er könne Zeit schinden. Nachdem er den Taxameter eingeschaltet hatte, schüttelte er Finzi erst einmal die Hand und stellte sich als Joachim vor. Dann reckte und dehnte er sich ausgiebig, richtete Innen- und Außenspiegel, und als er sich endlich anschickte loszufahren, entdeckte er einen winzigen Fleck auf der Windschutzscheibe. Er murmelte etwas, das » Wait a minute, amigo « heißen konnte, ergriff einen Lappen und stieg aus, um dem Schmutz zu Leibe zu rücken.
Finzi rastete aus.
Eigentlich reichte sein Spanisch, um einen Taxifahrer zusammenzustauchen, diesmal indes war er an einen Meister in der Kunst der Beschimpfung geraten. Deshalb musste Finzi, nachdem er sich zahllose fantasievolle Attribute zur Beschreibung seiner Mutter angehört hatte, deren Bedeutung ihm des Öfteren entging, die weiße Fahne hissen und mitsamt seinem Gepäck zu einem anderen Taxi abziehen.
Der Beef Island International Airport, fünfzehn Kilometer östlich der Hauptstadt gelegen, ist mit der Ostküste von Tortola über eine Holzbrücke verbunden. In seiner Nervosität ließ sich Finzi während der Fahrt, obwohl aus dem Schweizer Winter kommend, weder von der Wärme noch von der üppig blühenden Vegetation besänftigen. Gemächlich fuhr das Taxi die Queen Elizabeth II Bridge entlang, vorbei an blühenden Bougainvilleen und Hibiskusbüschen, erschreckte eine Gruppe brauner Tauben, die zeternd aufflatterten, und zuckelte weiter bis Road Town.
»Und was machen wir jetzt, Chef«, fragte der Taxifahrer. »Wollen Sie in den Botanischen Garten?«
»Wenn’s Ihnen nichts ausmacht: Mir pressiert es ein bisschen«, antwortete Finzi.
»Ah, schade! Aber klar. Sie sind geschäftlich hier?«
Als sie endlich vor Maria’s By The Sea Hotel standen, war der Herr Finzi mit seinen Nerven definitiv am Ende. Der heiße Anhauch der Passatwinde begann ihm zu Kopf zu steigen, zumal er zu warm angezogen war. Das Hotel, dem eine Reihe Palmen einen recht mageren Schatten spendete, gleißte weiß und blendend in der Sonne. Finzi sperrte seine Zimmertür ab, schaltete die Klimaanlage ein und ließ sich ermattet aufs Bett fallen.
Franco Sutter liebte die Britischen Jungferninseln. Die Amerikanischen waren ihm zu laut, zu schrill, zu sehr von Dummheit verseucht. Road Town war viel weniger tourismusorientiert. Gut, da waren die Cane Garden Bay und ein paar Häuser im pseudokreolischen Stil, in Pastelltönen gestrichene Holzkonstruktionen, sonst aber war Road Town eine Stadt der Pragmatiker: fünfzehntausend Einwohner und dreihundertfünfzigtausend Offshore-Firmen.
Sutter liebte das Surfen, und er liebte das Geld; das Chaos und das irre Gehetze der europäischen Städte verachtete er. Deshalb war er von der Schweiz auf die Insel Tortola ausgewandert, wo er sehr schnell zum Spezialisten geworden war. Innert achtundvierzig Stunden war er in der Lage, für weniger als zehntausend Franken eine Briefkastenfirma oder kleine Holding aus dem Boden zu stampfen. Und dank den Trainingsstunden in der Apple Bay hatte sich auch sein Surfstil bemerkenswert verbessert.
Warm war es. Sutter trug einen hellblauen Leinenanzug und fuhr mit seinem alten Ford die Waterfront Road vom Postamt in die Innenstadt. Es war ein bedeutender Tag: Signor Finzi hatte sich persönlich nach Tortola begeben. Normalerweise traf Sutter nie mit seinen Kunden zusammen. Er, der in der Steueroase Tortola lebte, war nur das erste Glied einer Kette. Finzis Firma zum Beispiel begann hier auf den Jungferninseln, setzte sich über die Insel Jersey fort und mündete schließlich, nach diversen Zwischenstationen in Liechtenstein, Dublin, London und Zürich, in eine Telefonnummer in Chiasso und ein Messingschild, auf dem stand:
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