Am Grund des Sees
sein Bierglas um, das sich auf den Tisch der Holländer entleerte. »Aber … Jetzt begreife ich!«
Mit geweiteten Augen starrte Finzi auf einen Namen auf einem Dokument aus dem Stoß Papieren. Sutter wunderte sich. Er rief eine Kellnerin herbei, und während er sich mit einer Hand über seine perfekt rasierte Wange fuhr, fragte er sich, ob Finzi vielleicht durchdrehte.
»Was ist?«
»Ich habe verstanden«, wiederholte Finzi grimmig. »Ich weiß jetzt, wer der Bastard ist, der mich auffliegen lassen will.«
»Nämlich?«, fragte Sutter, noch höflich, doch in einem Ton, in dem ein leiser Anflug von Drohung mitschwang.
»Und ich weiß, warum Pellanda und Vassalli sterben mussten … ich weiß jetzt, was er tut. Und ich sag dir was: Wenn dir nicht ein Ausweg einfällt, sitzen wir alle in der Scheiße.«
Zwar konnte sich Sutter beim besten Willen keinen Reim auf Finzis Gefasel machen, doch einen Ausweg wusste er durchaus. Vor seinem geistigen Auge sah er eine saubere Liste seiner Kunden, und darauf strich er mit schwarzem Stift den Namen Amedeo Finzi aus. Genug. Der Alte war zum Risiko geworden: So einen schaltet man lieber gleich aus.
»Sicher«, sagte er lächelnd. »Das kriegen wir schon wieder hin, mein Freund, kein Problem.«
»Aber der Mörder wird wieder zuschlagen …«
»Das besprechen wir jetzt alles«, fiel ihm Sutter beschwichtigend ins Wort. »Schau, hier kommt dein frisches Bier.«
Contini traute seinen Augen nicht. Fünf Flöße hatte er in den Tresalti fallen lassen, und fünf waren im Sammelbecken aufgetaucht. Wie war das möglich? Noch nie war in seinem Leben auf einmal so viel schiefgegangen, und doch hatten alle Schiffchen die Stromschnellen des Tresalti überwunden und waren hier gelandet.
War das jetzt ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
In den letzten beiden Tagen wusste er überhaupt nicht mehr, was er denken sollte. Es herrschte akuter Auftragsmangel: Wer will einen Detektiv, hinter dem die Polizei her ist? An sein Privatleben wollte er lieber nicht denken. Der »Fall Malvaglia« hingegen … nun, inzwischen war klar, was aus Ernesto Contini geworden war.
Seit zwanzig Jahren eine Leiche, seit zwanzig Jahren auf dem Grund des Stausees in eine Truhe eingeschlossen, im Wasser, ganz langsam verwesend.
Er hatte noch einmal Desolina angerufen, hatte ihr von seinem Fund berichtet und wollte weitere Informationen. Zum Beispiel: Wer war der Tote neben seinem Vater? Martignoni wahrscheinlich. Aber warum, was war geschehen? Desolina wusste es nicht. Sie war durcheinander, fast panisch. Er hatte sie bedrängt, natürlich, aber sie hatte sich immer weiter zurückgezogen und war schließlich ganz verstummt. Es half nichts zu schreien, es half nichts, wütend zu werden. Sofern die alte Desolina wirklich etwas wusste, war jedenfalls nichts aus ihr herauszubringen. Sie benahm sich, als fühlte sie sich bedroht. Aber vielleicht hatte sie nur leere Sprüche gemacht.
Es war beinahe Mittag. Continis Kopf fühlte sich an, als läge ein eiserner Reifen darum. Er fischte die Flöße aus dem Wasser und kehrte rasch nach Hause zurück. Die Luft war sehr klar: Scharf zeichneten sich die Zweige und Äste, die Dächer von Corvesco, die Umrisse der Berge vor dem weißen, reglosen Himmel ab.
Er war mit Rechtsanwalt Calgari verabredet, obwohl er sich nicht viel von dem Gespräch erwartete. Inzwischen zog er seine Ermittlung in die Länge wie ein Faulpelz seinen Mittagsschlaf: weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte.
Bevor er das Haus wieder verließ, schluckte er zwei Aspirin und stellte dem Kater Futter hin. Er merkte, dass ihm das Herz bis zum Hals klopfte, und setzte sich kurz in die Küche, um wieder zu Atem zu kommen. Er hatte Hunger, aber keine Lust zu essen, deshalb schenkte er sich ein Bier ein und stürzte es hastig hinunter, dann machte er sich auf den Weg.
Die Kälte ließ ihm Gesicht und Hände erstarren, und als er im Auto saß, drehte er die Heizung ganz auf. Noch immer hämmerte sein Herz. Während der Fahrt hörte er im Geist die Stimme des alten Jonas: Wer ist auf der anderen Seite des Spiegels? Wo immer er hinblickte, sah er immer nur das eigene Spiegelbild: Wie sollte er die Polizei widerlegen? Du musst schauen, was auf dem Grund des Sees ist.
Nun, das wusste er jetzt. Er und Pancho waren die Einzigen, die es wussten, - abgesehen von Desolina. Aber deshalb wusste er noch lange nicht, wer Pellanda und Vassalli umgebracht hatte, so wenig wie er sich erklären konnte, wer seinen
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