Am Grund des Sees
TREUHANDGESELLSCHAFT AMEDEO FINZI & PARTNER.
Dem Herrn Finzi stand keine gute Zeit bevor. Sutter hatte die jüngsten Entwicklungen mit Interesse verfolgt: Die Chance, dass die Veruntreuung von Geldern im Zusammenhang mit dem Staudamm von Malvaglia ans Licht kam, war ziemlich groß, das war ihm klar. Wenn die Zeitungen so viel Wind um die Sache machten, wurde es für Finzi & Partner brenzlig.
In dem Fall musste Herr Sutter einschreiten. Mit der üblichen Diskretion, versteht sich.
Das Zentrum von Road Town war ein Kehrplatz mit einem Blumenbeet in der Mitte, einer Straßenlaterne, ein paar geparkten Autos vor den himmelblauen und rosaroten Häusern. Auf einer Parkbank saßen zwei Müßiggänger mit weit offen stehenden Hemden, während ein sichtlich nach klimatisierter Luft verlangender Herr mit Sakko und Krawatte schwer atmend an ihnen vorbeistrebte. Sutter bog links in die Fleming Street ab und fuhr ein paar Kilometer weiter, bis er vor einem massigen Gebäude angelangt war, über dessen Eingang PUBLIC LIBRARY stand.
Es war dreiviertel zwei. Nachdem er zu früh war, stellte er seinen Wagen in den Schatten, kippte die Rückenlehne nach hinten, lockerte seinen Krawattenknoten und gönnte sich seinen kleinen Mittagsschlaf, auf den er nie verzichtete, auch dann nicht, wenn heikle Angelegenheiten anstanden.
Punkt zwei Uhr trat ein Mann aus der Bibliothek. Eine Hand über die Augen gelegt, sah er sich um, und als er den Ford des Herrn Sutter erspäht hatte, kam er auf ihn zu. Sutter lehnte sich aus dem Seitenfenster und sagte: »Joachim. Wie geht’s?«
»Mühsamer Tag«, antwortete Joachim. »Keiner will Taxi fahren.«
»Außer Signor Finzi.«
»Außer ihm.«
»Hast du ihn rausgeekelt?«
Joachim nickte selbstgefällig und lieferte eine Kostprobe der Beschimpfungen, mit denen er den Herrn Finzi in die Flucht geschlagen hatte. Sutter unterbrach ihn.
»Schon gut, verstehe. Und die Wanzen?«
»Zwei. Eine im Gewand, eine im Gepäck.«
»Sehr gut. Komm morgen zu mir ins Büro.«
Sutter fuhr wieder los und die Main Street entlang. Um drei war er mit Finzi am Ferry Terminal verabredet, rund zehn Kilometer im Süden.
Er fühlte sich wie ein Chirurg vor einer schweren Operation. Dass der Eingriff sich nicht umgehen ließ, stand fest. Nun galt es festzustellen, wo und wann geschnitten werden musste. Sutter brauchte seine gesamte Konzentration; es war nicht das erste Mal, dass er einen Kunden, der in Schwierigkeiten steckte, hochgehen ließ, ihn mit einem Taschenspielertrick um sein Geld brachte und ihn dann dem Ärger mit der Justiz überließ. Jedoch war größte Vorsicht geboten. Auf keinen Fall durfte Sutters guter Name mit irgendwelchen unsauberen Geschäften in Verbindung gebracht werden.
Allzu viele Sorgen musste er sich allerdings nicht machen. Schließlich war ihm dieses Spielchen schon mit weitaus lästigeren Kunden gelungen, als es diese traurige Gestalt Finzi war. Er schaltete das Radio ein und trat aufs Gas: Die Klänge von Bob Dylans Forever Young ließen ihn an die Zeit denken, als er in der Bank gearbeitet hatte, im grauen Zürich, in einer grauen Bahnhofstrasse, die in seiner Erinnerung immer von einem eiligen Menschenstrom erfüllt war. Zu seiner Linken leuchtete das strahlend blaue Meer, das sich in der Ferne mit dem dunkleren Blau der Landmasse jenseits des Golfs vereinigte. Und dazwischen das Blau der Häuschen von Crafts Alive, die karibische Souvenirs ausstellten. Sutter gab noch mehr Gas: Er hasste Touristen.
Vor seiner Bekanntschaft mit Herrn Sutter und dessen Finanzgeschick hatte Amedeo Finzi niemals größere Geldbeträge gewaschen. Aber die Sache hatte sich entwickelt. Seit den achtziger Jahren unterhielt Sutter einen Hedgefonds, der unter der Leitung eines untadeligen Managers als Limited Partnership firmierte. In Wahrheit gehörte der Fonds über mehrere Ecken einem Strohmann Sutters. Kontrollen gab es auf Tortola nicht, und deshalb konnte man Investitionen à fonds perdu vortäuschen, auch wenn in Wirklichkeit Staatsobligationen mit acht Prozent Verzinsung dahinter standen. So dass Finzis Komplizen in aller Ruhe die über verschiedene Umweltunternehmen gewaschenen Beträge in den Hedgefonds »investieren«, dann ihren Verlust vorschützen und den Eigentümern zurückerstatten konnten, nicht ohne zuvor einen gewissen Prozentsatz als Provision für Finzi und Sutter abgezogen zu haben. Es war eine raffinierte und sichere Methode.
Eine beinahe sichere Methode, dachte Sutter, als er am
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