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Am Hang

Am Hang

Titel: Am Hang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Werner
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gilt.
    Aber wahrscheinlich war ich so wenig verliebt wie der Jagdhund ins Wild, dessen Fährte er in gedanklicher Ausschließlichkeit folgt. Und doch bemerkte ich, als ich mich zum vereinbarten Termin dem Kinderspielplatz näherte, daß ich Herzklopfen hatte, was mir lange nicht mehr passiert war. Sie saß bereits auf der Bank, rauchte und schaute so gebannt auf die Schaukel neben dem Brunnen, daß sie mich erst bemerkte, als ich mich zu ihr setzte. Enttäuschend flüchtig begrüßte sie mich, und als ich fragte, wie es ihr gehe, legte sie den Finger auf ihren Mund und deutete mit dem Kopf Richtung Schaukel. Ein kleines Mädchen saß darauf, und neben ihm, an den Pfosten gelehnt, stand sein mutmaßlicher Vater, in die Lektüre einer Boulevardzeitung vertieft und die Schaukel von Zeit zu Zeit anstoßend. Was daran so bemerkenswert sein sollte, daß ich zum Schweigen aufgefordert wurde, war mir nicht klar. Ja, herzig, sagte ich schließlich. Nein, trostlos, Herr Doktor, sagte sie. Auf meine erstaunte Frage, woher sie wisse, daß ich den Doktortitel habe, meinte sie nur, es gebe Telefonbücher. Sie hatte sich also mit mir beschäftigt, das war ein gutes Zeichen und ebenso ermutigend wie ihre Lippen. Sie waren nicht geschminkt gewesen bei unserem Zufallstreffen, jetzt aber profilierten sie sich dunkelrot.
    Wir tranken dann wieder Campari. Sie wirkte gelöst. Auf meine Frage nach ihren persönlichen Lebensumständen sagte sie ohne Schroffheit, sie schlage vor, daß wir darauf verzichteten, uns gegenseitig auszuforschen. Nur ihren Beruf gab sie preis:
    Sie war Betreuerin in einem Behindertenheim. Ich konnte es nicht lassen, trotz ihres Vorschlags, sie zu fragen, ob sie verheiratet sei. Sie nickte knapp. Es paßte mir, daß sie gebunden war, ich fühlte mich freier so – und auch herausgeforderter und quasi eroberungslustiger. Im übrigen merkte ich sehr wohl, ich bin ja nicht instinktlos, daß ihr etwas an mir gefiel. Nach einer Stunde aber – ich wollte sie gerade fragen, ob ich jetzt wirklich einsam essen gehen müsse – stand sie auf und sagte: In einer Woche? – Ob es nicht früher gehe, fragte ich. – In einer Woche, sagte sie, Sie wissen ja wo. – So hat sie mich zappeln lassen, so hat sie erreicht, wahrscheinlich gar nicht mit bewußter Taktik, daß ich in der folgenden Woche noch intensiver umgetrieben wurde als in der Wartezeit zuvor. Vielleicht war ich jetzt wirklich verliebt, obwohl ich mich an Tassos Satz erinnerte, Verliebtheit sei seelische Seligkeit, von sinnlichem Verlangen nur ganz dezent begleitet. Dezent war das meinige nicht, es war, ich gebe es zu, von herrischer Dominanz.
    Jetzt raffe ich rigoros. Beim dritten Mal war alles anders. Sie schien verjüngt, beschwingt, ja übermütig wie ein Mädchen. Sie saß nicht auf der Bank, als ich kam, sie saß auf der Schaukel und begrüßte mich strahlend. Dann trank sie Wasser aus der Röhre, sah eine Vogelfeder im Brunnen und fischte sie heraus. Komm, sagte sie und lief zum Sandhaufen in der Ecke des Kinderspielplatzes. Gleich wird sie eine Sandburg bauen, dachte ich, aber sie tat etwas anderes, sie schrieb mit dem Federkiel den Namen VALERIE in den Sand. Danke, sagte ich, du hast es spannend gemacht, zwei volle Wochen lang hast du mich dazu verdammt, von einer Frau zu träumen, von der ich lediglich wußte, daß sie Frau Bendel heißt. – Du hättest mich ja einmal fragen können, sagte sie. – Ich habe zweimal gefragt, entgegnete ich, du hast es scheinbar überhört. – Wir wollen nicht streiten, sagte sie, ich bin nämlich hungrig. – Okay, sagte ich äußerst vergnügt, ich rufe sofort ein Taxi. – Sag nicht okay, bitte, ich hasse dieses importierte Wort. – In Ordnung, sagte ich, wirst du als nächstes meine Nase tadeln? – Zeig! sagte sie. Ich senkte brav den Kopf, sie schaute prüfend und sagte dann: Die ist okay.
    Beim Abendessen, wir aßen Chateaubriand und tranken einen Chambertin von schönster Rasse, fragte ich sie, warum sie plötzlich so verwandelt sei, so leicht und heiter. – Damit ich besser zu dir passe, und weil das Gestern und das Morgen mich ausnahmsweise nicht beschweren. – Das freut mich, sagte ich, es geht mir gleich, und zwar nicht ausnahmsweise, sondern meistens. – Ich weiß, ich weiß, ich war von Anfang an im Bild, ein loser Vogel braucht sich nicht zu outen. – Gut, sagte ich, dann wird es dich auch nicht erstaunen, wenn ich dich frage, ob du noch für ein Stündchen zu mir kommst. – Sie zögerte, sie

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