Am Helllichten Tag
alle polizeibekannt, mit denen er krumme Dinger dreht. Das Dumme ist nur, dass wir momentan nichts gegen ihn in der Hand haben.«
Ramakers nimmt einen Schluck Kaffee aus dem Becher mit Katzenmotiv, den ihm seine sechsjährige Tochter zum Geburtstag geschenkt hat.
»Trotzdem sollten wir uns den jungen Mann mal näher ansehen. Stellt bitte alles zusammen, was über ihn rauszukriegen ist. Los geht’s, Leute!«
Sie verlassen Ramakers’ Büro und machen sich an die Arbeit. Es dauert nicht lange, und alle verfügbaren Systeme werden nach Hinweisen durchsucht, auch soziale Netzwerke wie Hyves und Facebook unter die Lupe genommen.
Das Ergebnis ist enttäuschend. Es findet sich kein einziger Anhaltspunkt, der auf eine Verbindung Rachid Amranis mit den Morden in der Bachstraat hinweist.
»Wenn er es tatsächlich war, ist er ein so ausgefuchster Typ, dass man schon fast Respekt vor ihm haben muss.« Julia streckt die steifen Glieder. »Ich hol mir einen Kaffee. Wollt ihr auch welchen?«
Alle nicken.
Sie geht in den Flur zum Kaffeeautomaten. In der Tür stößt sie mit Ramakers zusammen.
»Das Ergebnis des Speicheltests ist da«, sagt er. »Die DNA aus dem Speichel auf Schavenmakers T-Shirt stimmt mit der von Rachid Amrani überein. Dann wollen wir uns den jungen Mann mal vornehmen. Bin gespannt, was er zu sagen hat.«
13
Nathalie ist nicht ganz so schnell vorangekommen wie geplant, doch jetzt nähert sie sich der Schweizer Grenze bei Basel. Sie hat gehofft, rasch durchgewinkt zu werden, aber anscheinend nehmen die Zöllner jeden Wagen einzeln ins Visier.
Nathalie wiederum behält die Autos hinter sich im Auge. Keine Spur von Vincent, trotzdem wähnt sie sich noch lange nicht in Sicherheit. Wenn er sie zu fassen kriegt, bringt er sie um, das steht fest.
Die Beziehung zu ihm führte dazu, dass sie in eine völlig andere Welt eintauchte, in eine Art Labyrinth, aus dem es bald keinen Ausweg mehr gab. Schon nach kurzer Zeit organisierte er falsche Papiere für sie. Nach allem, was sie bei ihrem Vater durchgemacht hatte, fiel es ihr nicht weiter schwer, ihre alte Identität hinter sich zu lassen. Das Mädchen, das sie gewesen war, gab es nicht mehr, stattdessen eine junge Frau namens Nathalie. Vincent sprach sie ab sofort nur noch so an, und auch für sie selbst war der neue Name bald eine Selbstverständlichkeit. Zudem war er nützlich, weil Vincent sie mehr und mehr in seine Machenschaften mit einbezog. Auf ihren Namen kaufte er leer stehende Fabrikhallen, um dort Cannabis zu züchten, mietete Autos für illegale Transporte und eröffnete Konten, um Geld am Fiskus vorbeizuschleusen. Bald bediente er sich nicht nur ihres Namens, sondern setzte sie auch für Kurierdienste ein, für Drogen- und Geldtransporte. Solange sie machte, was er ihr auftrug, behandelte er sie gut. Nur wenn sie widersprach, schlug er zu. Und vor allem verlangte er nie von ihr, mit anderen Männern ins Bett zu gehen, wie es seine Freunde bei ihren Mädchen taten. Im Gegenteil, Vincent betonte immer wieder, sie gehöre nur ihm allein.
»Unsere Liebe ist für immer«, sagte er. »Wenn du dich je mit einem anderen einlässt, bring ich dich um.«
Sie hatte gelacht, er nicht: Ihm war es todernst damit.
Nathalie wischt ihre feuchten Hände an der Jeans ab. Die Grenzer lassen die Autos nur langsam passieren, sehen sich jedes Nummernschild genau an, so als suchten sie nach einem verdächtigen Fahrzeug.
Nathalie setzt sich entspannt hin, ganz die gelassene Touristin, die die Verzögerung nicht weiter tragisch nimmt.
Als sie an der Reihe ist und der Grenzbeamte sie aufmerksam mustert, wendet sie den Blick nicht ab und bleibt äußerlich ruhig, obwohl sie rasendes Herzklopfen hat. Ihr falscher Pass ist eine echte Profiarbeit, dennoch ist es riskant, ihn vorzuzeigen.
Als der Mann die Hand hebt, wird ihr angst und bange. Sie will bereits das Seitenfenster herunterlassen, als er ihr bedeutet weiterzufahren.
Erleichtert gibt sie Gas.
Nach ein paar hundert Metern dreht sie sich zu Robbie um, der sie mit seinen braunen Augen groß anschaut.
»Wir sind in der Schweiz, Robbieboy! Es hat geklappt! Jetzt hält uns keiner mehr auf!«
Letzteres muss sich erst noch erweisen, aber nachdem sie ohne Probleme zwei Grenzen passiert hat, ist sie guten Mutes.
Zum Glück hat sie das Ferienhaus am Lago Maggiore Vincent gegenüber nie erwähnt. Es gehört Cécile und ihr gemeinsam. Sie selbst war in den letzten Jahren nie mehr dort, ihre Schwester hingegen macht öfter
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