Am Helllichten Tag
brennt!«
Die Angst in ihrer Stimme und ihr wildes Gestikulieren alarmieren alle, auch jene, die ihre Sprache nicht verstehen. Plötzlich schießt eine Stichflamme empor und erhellt kurz den Tunnel.
Nathalie taumelt zurück, das Gesicht mit dem Arm schützend.
Ein paar Männer rennen zu ihren Wagen. Als sie mit Feuerlöschern wiederkommen, brennt das Auto, von dem der Rauch aufgestiegen ist, bereits lichterloh. Sie richten die Schaumstrahlen darauf, da ertönt ein Schrei, und jemand zeigt auf einen neuen Brandherd. Offenbar sind Funken auf die Benzin- und Öllachen auf dem Asphalt übergesprungen.
Nathalie weiß, dass sich ein Feuer rasend schnell ausbreiten kann, aber erlebt hat sie so etwas bisher noch nie. Wie gelähmt steht sie da und sieht die Flammen auf ein weiteres Auto übergreifen.
Auf den Schildern unter der Tunneldecke leuchten in Giftgrün Hinweise in Deutsch, Italienisch und Englisch auf: Man werde so schnell wie möglich einen Fluchttunnel öffnen, um den Verkehr sicher ins Freie zu schleusen. Bis dahin solle man den Motor auslassen.
Trotzdem stürmen die meisten zu ihren Autos. Die ersten beginnen, ungeduldig zu hupen, andere folgen.
Nathalie schaut zur Tunneldecke. Dort sammelt sich Rauch, der mit jeder Sekunde dichter wird.
14
Ihre Handflächen sind so schweißnass, dass sie sich kaum noch an der Jeans abwischen lassen. Noch scheint die Rauchentwicklung nicht allzu bedrohlich zu sein; das meiste steigt nach oben und wird von der Entrauchungsanlage angesaugt. Da inzwischen aber mehrere Fahrzeuge brennen, dürfte die Lage demnächst kritisch werden.
Nathalie wirft einen Blick auf ihr Auto. Es ist noch fahrtüchtig, aber bei dem Chaos ist kein Durchkommen möglich, auch wenn jetzt ein paar Männer mit vereinten Kräften versuchen, die beschädigten Autos an den Rand zu schieben.
Ihr wird klar, dass sie schnell handeln muss. Bis zum Tunnelausgang sind es noch drei Kilometer, eine ganz schöne Strecke zu Fuß, aber sie hat keine Wahl. Und anders als viele um sie herum hat sie kein Problem damit, ihren Wagen einfach im Stich zu lassen.
Sie zwingt sich zur Ruhe, öffnet die Autotür und nimmt ihr Gepäck heraus. Dann holt sie den Buggy aus dem Kofferraum, klappt ihn auf und hebt Robbie aus seinem Kindersitz.
Ganz ruhig, als stünde ein Spaziergang im Grünen bevor, setzt sie das Kind in den Buggy, hängt ihre Sachen an die Hand griffe und lenkt ihn durch eine Pannenbucht an den brennenden Wagen vorbei.
Bald hat sie die rechte Fahrspur ganz für sich, denn sämtliche Autos, die vor der Unfallstelle fuhren, haben den Tunnel längst verlassen.
Über ihr leuchtet jetzt eine andere Aufschrift. Im Weiterlaufen registriert sie das Wort pompieri – die Feuerwehr scheint unterwegs zu sein.
Entschlossenen Schritts geht sie weiter. Sie sieht sich kurz um und merkt, dass sich auch andere auf den Weg gemacht haben.
Das Ende des Tunnels ist noch nicht in Sicht, als sie weit hinter sich einen ohrenbetäubenden Knall hört. Sein dumpfes Echo wird von den Tunnelwänden zurückgeworfen.
Als sie im Laufen einen Blick über die Schulter wirft, bleibt ihr vor Schreck fast das Herz stehen. Die Druckwelle schiebt eine schwarze Rauchwand vor sich her!
Die Leute hinter ihr beginnen zu rennen, zerren heulende Kinder mit. Nathalie hört verzweifelte Schreie, gedämpft von Hustenanfällen.
Auch die Leute auf der Gegenspur verlassen jetzt ihre Autos und laufen los.
Nathalie fröstelt vor Angst. Von Weitem erklingt Sirenengeheul.
Robbie, der den Ernst der Lage nicht erfassen kann, lacht zunächst vergnügt, als Nathalie das Tempo beschleunigt, bald jedoch beginnt er kläglich zu weinen. Sie kann sich nicht um ihn kümmern – jetzt gilt es zu rennen, schnell, noch schneller, so gut es mit dem Buggy und dem Gepäck eben geht.
Die Rauchwand holt sie ein, umhüllt sie wie rasch aufziehender Nebel. Noch bekommt sie genügend Luft, um weiterzurennen, aber lange wird sie nicht mehr durchhalten.
Zwei junge Frauen in ihrem Alter überholen sie, barfuß, modische Sonnenbrillen im wehenden Haar.
Wie mag es den Familien mit Kleinkindern ergehen? Nathalie wagt nicht, sich vorzustellen, welche Dramen sich hinter ihr abspielen.
Sie atmet immer mehr Rauch ein, kämpft sich hustend weiter. Jetzt bloß nicht stehen bleiben, das wäre ihr Tod!
Mittlerweile ist es so dunkel um sie, dass sie Robbie kaum mehr sieht. Ihre Augen tränen, mühsam stolpert sie vorwärts.
Sie ist kurz davor zusammenzubrechen, als sie spürt,
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