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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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dass sie in der Nacht geflohen sind«, erklärte die Frau. »Die Roigs sind Konvertiten.«

42
    J oan hatte allen Mut verloren. ›Ich sehe sie nie wieder‹, sagte er sich immer wieder. ›Nie wieder.‹ Seine Augen füllten sich mit Tränen. Wenn die Roigs vor der Inquisition geflohen waren, würden sie nie nach Barcelona zurückkehren. Sie konnten nicht auf dem Landweg geflohen sein; während der Nacht wurden die Stadttore geschlossen gehalten. Selbst wenn sie die Wache bestochen hätten, waren die Wege sehr unsicher, und bis nach Frankreich hatte man große Gefahren zu bestehen. Gewiss waren sie auf einem Schiff geflohen. Joan lief zum Hafen, weil er nach einem Schiff fragen wollte, das kurz vor dem Tagesanbruch die Anker gelichtet hatte.
    Unterwegs dachte er über Annas Traurigkeit, ihre Zärtlichkeit und ihre Tränen nach. Sie ließen sich damit erklären, dass sie von dem bevorstehenden Aufbruch gewusst hatte. Sie hatte sich verabschieden wollen. Doch sie durfte es ihm nicht sagen, denn ihre Familie schwebte in Lebensgefahr. Man musste unbedingtes Stillschweigen bewahren. Die Umstände hatten sich gründlich geändert, seitdem die letzte große Konvertitengruppe mit einem Schiff geflohen war, und die Angst vor der Inquisition hatte die ganze Stadt im Griff. Wer jetzt bei einer Flucht mitwirkte, wurde hingerichtet. Die Konvertiten saßen beinahe vollständig in der Falle. Niemand wagte es, ihnen zu helfen.
    Joan stieß auf eine Mauer des Schweigens. Die Seeleute antworteten ihm mit einer Gegenfrage: »Bist du ein Familiar der Inquisition?«
    Obwohl Joan im Hafen bekannt war, trauten die Leute keinem mehr. Es gab viele, die Fragen stellten, und das Spitzelnetz erweiterte sich jeden Tag. Die sogenannten Familiaren der Inquisition genossen Straflosigkeit und andere Privilegien, etwa bezahlten sie keine Steuern. Sie waren Laien und konnten jedes Gewerbe ausüben. Allerdings lebten einige ausschließlich von dem, was die Inquisition bei den von ihnen denunzierten Leuten beschlagnahmte. Ein Familiar der Inquisition zu sein war so, als hätte man eine Bescheinigung über die Reinheit des Blutes, und da die Anzeigen geheim waren und die Denunzianten anonym blieben, waren sie gefürchtet. Ein Bürger wusste nie, ob er gerade mit einem von ihnen sprach.
    Alles, was Joan herausbekommen konnte, war, dass ein sizilianisches Schiff beim ersten Tageslicht ausgelaufen war.
    Als er zum Kloster zurücklief, kam er durch die Calle Argentería. Es tat ihm in tiefstem Herzen weh, den Laden der Roigs mit seiner geschlossenen Tür zu sehen.
    Er rannte in seine Zelle und schrieb in sein Buch: »Ich werde dich finden. Vielleicht in Italien.«
    Kurz danach teilte ihm der Pförtner mit, dass ihn Bartomeu sehen wolle.
    »Es tut mir leid, dass Anna weg ist, und ich verstehe, dass du traurig bist«, begrüßte ihn der Kaufmann. »Aber es gibt ein anderes Problem: Mosén Roig ist abgefahren, ohne mir etwas über das gestohlene Gold mitzuteilen.«
    Joan blickte ihn überrascht an. Er hatte das Gold und die Anklage vollständig vergessen. Annas Abwesenheit hatte all seine Gedanken beherrscht.
    »Und was bedeutet das?«, fragte er, obwohl er die Antwort im Voraus kannte.
    »Dass man dich für schuldig halten wird und dass dich Mosén Corró anzeigen muss.«
    Joan zuckte die Achseln. Noch eine schlechte Nachricht, sagte er sich. Seine Welt brach endgültig zusammen.
    »Lasst mir zwei Tage Zeit, und ich sage dem Herrn, dass ich meine Unschuld nicht beweisen kann«, erklärte er niedergeschlagen, aber standhaft. »Er soll tun, was er tun muss.«
    »Es tut mir leid, Joan. Ich glaube, es ist besser, dass du an Bord eines Schiffs gehst und von hier entkommst. Hast du daran gedacht?«
    »Ja. Aber wenn ich es tue, kann ich nie nach Barcelona zurückkehren. Dann werde ich Gabriel nie wiedersehen.«
    »Denk noch einmal darüber nach«, erwiderte Bartomeu. »Und sag mir dann, wie ich dir helfen kann.«
     
     
    Joan ging in die Kirche. Die Stunde der Sext war noch nicht gekommen, und der Raum war leer. Er kniete am Hauptaltar nieder, um zu beten, und unter Tränen murmelte er: »Allmächtiger Vater! Ich habe meine Christenpflicht immer so gut erfüllt, wie ich es konnte. Ich habe die Messe gehört, wenn es vorgeschrieben war, ich habe meine Gebete verrichtet, meine Sünden gebeichtet und Buße getan. Ich wollte gut und ehrlich zu den anderen sein. Warum schickst du mir so viel Unheil? Du gestattest, dass man mich für einen Dieb hält, dass mich Schmach

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