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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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sie.
    Joan betrat einen großen Raum mit einem Kamin, von dessen Feuer Dampf aufstieg. Wohlriechender und anregender Duft durchdrang das Zimmer. Von der Decke hingen Kräuter und etwas, was der Junge für Wasserschläuche hielt, an den Wänden lehnten Regale mit Töpfen und Büchsen. In der Mitte stand ein Tisch. Die Frau zeigte auf einen Schemel und forderte Joan auf, sich zu setzen.
    »Was willst du von mir?«, fragte sie ihn und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
    »Es heißt, dass ihr Hexen den Leibhaftigen anstelle Gottes anbetet. Dass ihr einen Pakt mit ihm habt.«
    »Ich bin keine Hexe.«
    »Und ich habe in bestimmten Büchern gelesen, dass der Teufel kein gefallener Engel, sondern ein anderer Gott ist«, sprach der Junge weiter. »Und dass er so mächtig wie der Gott der Bibel ist.«
    Die Frau lachte und öffnete dabei ihren Mund, in dem einige Zähne fehlten. Danach antwortete sie spöttisch: »Ich weiß nicht, was du mir da erzählst. Ich kann nicht lesen.«
    »Der Gott der Kirche ist ungerecht. Es nützt nichts, zu ihm zu beten.« Joan sprach immer weiter, ohne sich um die Einwände der Hexe zu kümmern. »Ich versuche, seine Gesetze zu befolgen, aber er bestraft mich grundlos und schadet den Menschen, die ich liebe. Ich will die Macht deines Gottes haben, damit ich meine Familie wiederbekommen, meine Liebste gewinnen und mich an ein paar erbärmlichen Kerlen rächen kann.«
    »Normalerweise kommen die Leute her, um mich um ein Hustenmittel oder etwas gegen Schmerzen zu bitten, höchstens um einen Liebestrank«, entgegnete sie und tat so, als dächte sie nach. Ihre Lippen deuteten ein schwaches Lächeln an. »Aber deine Sache geht selbstverständlich über das Übliche hinaus …«
    »Bitte helft mir!«, rief Joan.
    Die Hexe sagte nichts, sondern blickte ihm nur weiter starr in die Augen. Joan war zwar fest entschlossen, doch er hatte Angst. Wenn sein Herz nicht voller Wut und Verzweiflung gewesen wäre, hätte er schleunigst die Flucht ergriffen. In diesem Augenblick krachte ein weiterer Donnerschlag, der so laut war, dass es schien, als wäre der Blitz genau in die Hütte eingeschlagen, und heftiger Regen trommelte auf das Dach. Joan sprang vor Schreck auf, doch die Hexe blinzelte nicht einmal und beobachtete ihn wie eine Schlange ihre Beute. Joan versuchte, ihrem Blick standzuhalten, aber er schaffte es nicht.
    Schließlich sagte die Hexe: »Erzähle es mir.«
    »Was?«
    »Erzähle mir alles, von Anfang an. Ich will wissen, was dich veranlasst hat, dich von Gott loszusagen.«
    Diese Worte ängstigten Joan auf andere Weise. Hatte er sich wirklich von Gott losgesagt? Vielleicht hatte die Frau recht. Er wollte schon den Mund öffnen und antworten, als sie ihn mit einer Geste zurückhielt. Der Regen wurde stärker, und es schien, als würde das Dach gleich einstürzen. Es hatte viele Löcher, und unter den größten hatte die Frau mehrere Töpfe aufgestellt. Jedes Loch erzeugte einen anderen Ton in seinem Behälter, und das Konzert erklang scheppernd drinnen und draußen. Das durch die Fenster einfallende Licht wurde zunehmend schwächer, und die aus dem Kochtopf aufsteigenden Dämpfe bildeten einen feuchten Nebel. Man konnte fast nichts sehen. Die Frau tauschte schnell ein paar Wassertöpfe aus, leerte die vollen, ging zum Feuer, warf ein paar Holzscheite hinein, zündete eine Öllampe an und kam mit ihr zum Tisch zurück. Das von unten scheinende Licht warf unförmige Schatten auf ihr Gesicht, und Joan war sich nun sicher, dass er es mit einem teuflischen Wesen zu tun hatte. Sie stellte die Lampe auf den Tisch, und als sie sich setzte, forderte sie ihn mit einer wortlosen Geste zum Sprechen auf. Der Junge erzählte ihr alles.
    »Es hat mir nichts genützt, dass ich Gott immer wieder angefleht habe«, sagte er mit Tränen in den Augen. »Es hat mir nichts genützt, seine Gebote zu befolgen.«
    »Halte endlich den Mund!«, befahl ihm die Hexe und ließ ihre Zahnlücken sehen.
    Joan blickte sie eingeschüchtert an und sah, wie sie das Gesicht zu einer Grimasse verzogen hatte. Im Lampenlicht wirkte sie wie ein sich verwandelndes Ungeheuer, und der Junge duckte sich, weil er befürchtete, dass er in wenigen Augenblicken das Erscheinen des Teufels erleben würde.
    »Glaubst du, du bist der Einzige, der gelitten hat?«, fuhr sie ihn an.
    Joan wusste nicht, wo er sich verkriechen sollte. Er duckte sich noch ein bisschen tiefer.
    »Siehst du mich an? Hast du mich gesehen?«
    Der Junge nickte mit dem

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