Am Horizont die Freiheit
Kopf, ohne dass er wusste, was sie meinte. Er traute sich nicht, danach zu fragen.
»Nun, vor zehn Jahren war ich eine schöne und glückliche Frau, eine sehr glückliche. Ich war mit einem starken Mann verheiratet, und wir liebten uns sehr. Wir haben den Bürgerkrieg und die Hungerzeiten überlebt. Unsere beiden Familien gehörten zu den Gewürzhändlern, und unser Geschäft begann allmählich zu florieren. Er beschäftigte sich mit chemischen Verbindungen, und wir stellten das beste Pulver in Barcelona her. Ich kannte mich bei den Speisegewürzen, den Kräutern und Heilmitteln gut aus, und ich hatte die Rezepte vieler Frauengenerationen meiner Familie aufgehoben. Wir waren in der Zunft hochangesehen, und unsere Nachbarn fragten uns oft um Rat. Wir taten unsere Arbeit gern, schlugen in alten Abhandlungen nach und experimentierten mit neuen Formeln. Ich wollte unseren Töchtern ein noch größeres Wissen übermitteln, als ich es erhalten hatte. Wir hatten ein fünfjähriges Mädchen, das schon mit dem Mörser, den Kräutern und Gewürzen umging, unsere beiden Jungen waren drei und zwei Jahre alt, und der Kleinsten gab ich noch die Brust. Wie glücklich wir waren!«
Die Hexe verstummte. Ihr Gesicht war entspannt, und ein Lächeln umspielte ihren Mund, während sie in eine unbestimmte Ferne blickte. Der Regen trommelte weiter heftig aufs Dach, und das Wasser, das durch die Löcher in die Gefäße spritzte, lieferte ein eintöniges Konzert. Der Nebel war nun sogar noch dichter geworden. Der Wildbach draußen hinter dem Haus rauschte. Joan betrachtete einige Zeit das Gesicht der Frau, das sich im schimmernden Lampenlicht so oft verwandelte.
»Und was ist geschehen?«
Sie starrte ihn mit einem harten Gesichtsausdruck an, und einen Moment bedauerte er, dass er sie aus ihrem Tagtraum herausgerissen hatte.
»Die Pest kam«, antwortete die Hexe und zog die Wörter in die Länge. »Ich habe alle mir bekannten Heilmittel vorbereitet, um meine Familie zu schützen. Meine ältere Tochter erkrankte als Erste. Wir beteten und beteten, während wir verschiedene Arzneien ausprobierten, doch die Kleinen wurden auch krank. Dann folgte ihnen mein Mann, und kurz darauf starb das Mädchen. Ich war tief betrübt, während ich alle pflegte. Mir fehlten die Kraft, die Unterstützung und der Trost, die mir mein Mann immer gewährt hatte. Ich umarmte ihn und sprach zu ihm, aber das Fieber hinderte ihn daran, mir zu antworten. Ich betete und flehte, weil ich die Pest besiegen und meine übrige Familie retten wollte. Doch die beiden Jungen starben nacheinander, und dann ist er gestorben. Ich hatte nur noch die Kleine. In dem Winter damals sind viele umgekommen. Allerdings gab es auch genug Familien, die keine Opfer zu beklagen hatten, und bei anderen waren es nur eines oder zwei … In meiner sind alle gestorben.«
Die Hexe schluchzte. Sie stützte die Ellbogen auf den Tisch und verbarg ihr Gesicht. Diesmal wartete Joan geduldig, bis sie weitersprach.
»Als mein kleines Mädchen starb, nahm ich ihren Körper in die Arme, lief auf die Straße und schrie, damit mich alle hörten. Ich verfluchte Gott, verleugnete Ihn und die Kirche. Das tat ich, bis ich heiser war.« Die Hexe blickte Joan eindringlich an. »Du hast wenigstens jemanden, dem du die Schuld für deine Übel geben kannst. Ich hatte keinen. Nur Gott.«
»Und was ist dann geschehen?«
»Manche wollten, dass man mich wegen Gotteslästerung auspeitschte. Doch ich war eine Pestkranke, und vielleicht hat mich das gerettet. Andere sagten, ich hätte den Verstand verloren und würde meinen anderen Familienangehörigen ins Grab folgen. Das war mir nur recht, ich wollte sterben und mich mit ihnen vereinen. Ich blieb allein im Haus zurück. Ich glühte vor Fieber und redete mit den Geistern meiner Lieben. Die Nachbarn brachten mir nichts, nicht einmal Wasser. Aber Gott hielt mich am Leben, damit ich noch mehr leiden musste. Als ich gesund wurde, hinderte mich die Zunft daran, den Laden wieder zu öffnen. Sie schlossen mich aus. Sie wollten, dass ich bereute, dass ich wegen meiner Gotteslästerungen öffentlich Buße tat, dann würden sie mich vielleicht eines Tages, wenn ich ein tugendhaftes Leben führte, wieder aufnehmen.«
»Was habt Ihr denen gesagt?«
»Sie sollten sich zum Teufel scheren. Wir hatten einen Garten, in dem wir Heilpflanzen anbauten, und dorthin bin ich umgezogen. Manche behaupten, dass ich eine Hexe sei und einen Pakt mit dem Teufel habe. Andere halten mich für
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