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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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die ihm Böses angetan hatten. »Ich will Kraft haben, um mich zu rächen!«, murmelte er mit heiserer Stimme. Nie hatte er eine so übermächtige Wut verspürt. Sie raubte ihm den Atem.
    »Schau ins Wasser!«, befahl ihm die Hexe. »Jetzt wirst du den Teufel sehen.«
    Sie hielt die Lampe näher und erhellte das Innere des Bottichs. Der Junge erblickte ein entsetzliches, verzerrtes, unförmiges Gesicht. Als die Frau das Licht zurückzog, richtete sich Joan schwankend auf. Er wollte sich von dem Bottich entfernen, spürte, dass dieses Etwas herauskommen, ihn fangen und seine Seele rauben würde. Er machte ein paar unsichere Schritte und übergab sich dann. Als er aufstehen wollte, merkte er, wie seine Beine nachgaben. Er streckte die Hand aus, um nach der Hexe zu suchen. Er wusste, dass sie da war, neben ihm. Er wollte sich an ihr festhalten, doch er konnte sie nur berühren, bevor er zu Boden sank.
     
     
    Langsam kam er wieder zu sich. Er spürte einen warmen Körper neben sich, und er erkannte, dass er auf dem Bett der Hexe lag. Sie umarmte ihn. Er erwiderte ihre Umarmung, und in diesem Augenblick spürte er eine Liebkosung an seiner Wange und einen Kuss. Von der Frau gingen ein angenehmer Duft und eine sanfte Wärme aus. Dort, im Bett, fühlte sich Joan einstweilen in Sicherheit, fern von dem verdammten Bottich, dem Teufel, dem Buchladen, der Inquisition, Felip und der Justiz, die vielleicht schon nach ihm suchte. Er war ruhig, beinahe glücklich. Er wusste, dass es nur eine vorübergehende Pause war, die kurze Ruhe vor der nächsten Schlacht, und dass bald alles von neuem beginnen würde. Er hatte nur noch sein Hemd an, und als er sich abtastete, entdeckte er, dass ihn nur ein dünnes Laken von ihrem Körper trennte. Sein Penis war hart und erigiert. Er erinnerte sich an die Vereinbarung und fragte sich, ob es dazu gekommen war, als er bewusstlos war. Ihn überraschte, dass das Ekelgefühl, das die Hexe in der Nacht bei ihm hervorgerufen hatte, verschwunden war. Stattdessen wirkte sie angenehm und gefällig auf ihn. Hin und wieder fiel ein Tropfen in die Gefäße, was wohl bedeutete, dass der Regen aufgehört hatte. Das Wasser im Bach rauschte nur noch leise. Nun spürte er, wie die Frau langsam ihre Umarmung löste und aufstand. Sie bewegte sich sicher in der Dunkelheit, zog sich an, und kurz darauf öffnete sie die Fenster. Blasses Morgenlicht fiel in die Hütte.
    »Es ist Zeit zum Aufstehen, Joan.«
    Von dem Feuer war noch etwas Glut übrig, die sie nun anfachte. Dann machte sie das Frühstück warm.
    »Los, steh auf. Zieh dich an, iss etwas und dann geh fort«, drängte sie ihn.
    »Aber …« Er sah sie fragend an.
    »Der Teufel will deine Seele nicht, und ich will deine Jungfräulichkeit nicht«, sagte sie ihm in heiterem Ton.
    Die Hexe nahm einen Napf und ging aus dem Haus. Joan nutzte das, um aus dem Bett zu springen. Er sah, dass seine Hosen und sein Wams auf einem Schemel lagen, und zog sich hastig an. Er war erleichtert, doch auch enttäuscht. War das alles?
    Die Hexe stellte zwei Näpfe mit Gerstenbrei auf den Tisch, dazu frisch gemolkene Ziegenmilch, Honig und Zwieback. Joan hatte seit dem letzten Abend nichts gegessen, und das Frühstück kam ihm vor wie ein Festmahl. Die Frau begann zu essen, und gleichzeitig betrachtete sie ihn wortlos. Ein heimliches Lächeln umspielte ihre Lippen. Beide schwiegen, bis Joan schließlich fragte: »Was ist gestern Nacht geschehen?«
    »Es gab einen Sturm, und beinahe wäre der Bach über die Ufer getreten und hätte mein Haus weggespült.«
    »Ihr macht einen Scherz«, sagte der Junge beleidigt. »Gestern habe ich diese Höllengestalten und den Teufel gesehen.«
    »Nein, Joan«, widersprach sie mit sanfter Stimme. »Du hast Wesen der Erde gesehen, dieselben, die deine Phantasien bevölkern. Zusammen mit deinem Vater hast du eingebildete Himmelswesen, keine Engel gesehen. Gestern hast du eingebildete Erdenwesen gesehen. Es waren keine Teufel.«
    »Aber ich habe Satan ins Gesicht geblickt!«
    Die Frau lachte belustigt.
    »Nein, Joan. Was du gesehen hast, was dich so sehr erschreckt hat, war dein eigenes Gesicht, das sich im Wasser des Bottichs spiegelte.«
    Der Junge staunte und sagte eine Weile nichts. Dann murmelte er: »Das kann nicht sein. Es war der Teufel.«
    »Nein. Er war es nicht«, widersprach sie nachdrücklich. »Oder vielleicht doch?«
    »Was meint Ihr damit?«
    »Wenn du Hass, Groll, Wut und Rachsucht so bezeichnest, dann stimmt es, dann hast du

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