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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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verrückt. Aber es kommen immer mehr Leute, die der Arzt nicht heilen kann.« Sie lachte. »Du siehst ja, sobald Gebete nicht helfen, macht es ihnen nichts aus, Umgang mit dem Teufel zu haben, wenn er sie heilen kann.«
    »Dann helft mir!«, drängte der Junge.
    »Wobei?«
    »Ich möchte mich rächen.«
    »Ist dein Hass so groß?«
    »Ja.«
    »Willst du den Teufel sehen?« In den Augen der Hexe funkelte etwas Sonderbares, Berechnendes. »Wagst du es? Ist dein Hass so groß, dass du es wagst, ihn um Hilfe zu bitten?«
    Joan prüfte seine Gefühle. Er empfand Hass, Wut, Rachedurst, doch die Worte der Hexe schüchterten ihn ein. Dennoch, trotz der schrecklichen Angst wollte er seine geliebten Angehörigen um jeden Preis retten. Er wollte die Kraft und die Macht bekommen, um seine Rache auszuführen. Er wollte nicht mehr wie bisher leiden und war bereit, jeden beliebigen Preis dafür zu zahlen.
    »Das werde ich sehen, wenn er mir dabei hilft, meine Unschuld zu beweisen, Anna und meine Familie zurückzugewinnen und mich an denen zu rächen, die uns so schlimm geschadet haben«, sagte er schließlich.
    »Einverstanden. Ich helfe dir«, antwortete sie langsam und blickte ihn wieder starr wie eine Schlange an. »Aber was bekomme ich dafür?«
    »Was wollt Ihr haben?«
    »Was schätzt du am höchsten?«
    Joan schluckte. Was wollte wohl die Hexe von ihm haben?
    »Wollt Ihr meine Seele?«, fragte der Junge flüsternd.
    »Nein!«, sagte die Frau nach langem Schweigen. »Ich handele nicht mit Seelen. Regle das mit dem Teufel, wenn du ihn siehst. Ich will etwas haben, was mir nützt.«
    Der Junge holte einen Beutel hervor, den er am Gürtel getragen hatte, und schüttete den Inhalt auf dem Tisch aus. Es waren unterschiedlich große Münzen und vier rote Korallenstücke.
    »Das ist alles, was ich habe«, sagte er. »Nehmt Euch, was Ihr wollt. Nehmt alles. Es ist wenig Geld, aber die Korallen sind vorzüglich. Dafür könnt Ihr drei bis vier Pfund bekommen.«
    »Das hier ist nichts, was ich brauche. Ich verdiene genug, um davon leben zu können. Trotzdem werde ich so viel von dir nehmen, wie ich es von den Leuten für meine Arzneien verlange.«
    Sie wühlte in den Münzen und nahm sich nur drei Kupferstücke.
    »Heb das Übrige auf«, sagte die Hexe, nachdem sie die Münzen in ihre Rocktasche gesteckt hatte. »Doch was du von mir verlangst, ist etwas ganz Besonderes. Ich möchte etwas von dir, was ich nicht habe.«
    »Ich wüsste nicht, was ich dir noch geben kann.«
    »Bist du unberührt?«
    Joan sah sie verblüfft an.
    »Ja«, antwortete er dann und beobachtete sie.
    »Ich möchte, dass du mir deine Unberührtheit opferst. Das ist der Preis.«
    Joan konnte vor Schreck nicht sprechen. Diese Frau war zwar verwahrlost und hässlich, außerdem fehlten ihr ein paar Zähne, doch er war sich sicher, dass sie zehn Jahre zuvor schön gewesen war. Sehr schön sogar. Das Leiden und die Jahre hatten sie indes mit einer abstoßenden Patina bedeckt. Sie war ihm widerwärtig.
    »Das ist mein Preis«, betonte die Hexe. »Du kannst ja oder nein sagen, aber vergeude nicht weiter meine Zeit. Wie ist deine Antwort?«
    Joan stimmte mit einem schwachen Kopfnicken zu. Die Frau betrachtete ihn einige Zeit und ließ dann ein lautes Gelächter hören.
    »So groß ist dein Hass, Junge?«, fragte sie dann. »So groß ist dein Hass?«

44
    D raußen wurde der Sturm heftiger. Joan blickte sich in dem dunstigen und feuchten Raum um. Die Hexe beauftragte ihn, ihr beim Leeren der Gefäße zu helfen, die das eindringende Regenwasser auffingen. Joan gehorchte und fragte sich, ob der Preis, den er in dieser Nacht bezahlen würde, nicht übertrieben hoch wäre. Er war verunsichert, doch er wollte seinen Weg weitergehen. Das hier war seine einzige Möglichkeit, sein Schicksal zu wenden. Als sie fertig waren, fragte die Hexe: »Jetzt sag mir: Bist du immer noch entschlossen, weiterzumachen? Ich gebe dir die letzte Gelegenheit, nach Hause zu gehen.«
    Joan entgegnete, er sei entschlossen, er werde bis zum Ende gehen. Die Hexe wies ihn an, er solle warten, während sie ihre Arznei vorbereitete. Nach einer Weile bot sie ihm etwas Lauwarmes zum Trinken an, das erdig und bitter schmeckte.
    »Trink es in einem Zug.«
    Der Junge gehorchte, und einen Moment glaubte er, alles wieder ausspeien zu müssen. Das Zeug schmeckte widerwärtig, und als er zu der Hexe hinübersah, die ihn beobachtete, dachte er, dass sie noch widerwärtiger wäre. Wie sollte er nur mit ihr schlafen? Er

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