Am Horizont die Freiheit
von Fremden umgeben waren, wurden sie zur Zielscheibe von Beleidigungen und Angriffen.
»Verkappte Judenschweine!«, schrie man ihnen zu. »Lügner! Falsche Christen!«
Und man bewarf sie mit Unrat.
Joan, Lluís und Jaume gaben sich Mühe, in der Nähe des Ehepaars zu bleiben, und sie versuchten, die beiden vor dem Pöbel zu beschützen. Doch die Straßen waren sehr eng und mit einer brüllenden Menge vollgestopft. Sie konnten nicht immer mit ihnen Schritt halten. Wenn sie doch aufgeholt hatten, wurden sie von den die Verurteilten eskortierenden Soldaten weggestoßen. Deren Aufgabe war es nicht, eine Flucht zu verhindern, vielmehr sollten sie gewährleisten, dass die Büßer lebendig zum Richtplatz gelangten.
Als der Zug die Stadt verließ, schlug er den Weg nach El Canyet – dem »Schindanger« – ein. Dies war eine unwirtliche Gegend nahe am Meer, mit stehenden Gewässern und Röhricht. Oft stiegen Dampfsäulen und ein nach Fäulnis und Verwesung riechender Nebel aus den Sümpfen auf. Im Sommer war der Ort mückenverseucht, und in den Nächten schweiften die Wölfe umher, die aus den Bergwäldern von Horta und Sant Genís kamen und nach Leichen suchten. Dorthin warf man die toten Tiere und alle anderen Abfälle, die die Stadt von ihren Mauern fernhalten wollte.
Es war nicht nur eine Todesstätte für Tiere, sondern auch für Menschen. Früher hatte man hier alle möglichen Verbrecher gehenkt, sogar sarazenische Piraten. In El Canyet erhob sich ein Kreuz, das sogenannte »Kreuz von La Llacuna«, das den Mittelpunkt der großen vermodernden Müllstätte bezeichnete.
Diesen Ort hatte die Inquisition für ihre Hinrichtungen ausgewählt. Mit erschöpften Schritten, unter Trommelwirbeln wandte sich die Prozession dorthin.
Als sie zum Kreuz kamen, fanden sie dort eine Stufenreihe aus Holz vor. Sie war an einer der trockenen Stellen aufgebaut, gegenüber dem Platz, wo die Soldaten das Brennholz aufschichteten. Die Dominikaner mit ihren tief heruntergezogenen Kapuzen sangen ihre Psalmodien weiter, und viele in der Menge der Schaulustigen sangen mit.
Die Soldaten stellten die vierzig Hanfpuppen auf die Stufenreihe, während die Eheleute Corró und der andere Büßer erschöpft auf den Boden sanken.
Dorthin kam Bruder Espina, um den Verurteilten die letzte Gelegenheit zu einer Versöhnung mit der Kirche anzubieten. Nach einer Weile breitete der Inquisitor die Arme aus und blickte zu der Menge. Die Dominikaner brachen ihren Gesang ab, und Schweigen trat ein.
»Die Büßer wurden dem weltlichen Arm übergeben«, rief er. »Sie haben ihre entsetzlichen Sünden eingestanden und für jede einzelne aufrichtig um Vergebung gebeten. Und die Kirche in ihrer unermesslichen Barmherzigkeit nimmt sie wieder in ihren Schoß auf. Gelobt sei der Herr.«
Aus der Menge stieg ein Jubelschrei empor. Wie schön war es zu sehen, wenn ein verirrtes Schäflein auf den rechten Weg zurückfand!
Auch Bruder Alonso Espina und sein Gefolge strahlten. Die Ketzer erkannten endlich die Wahrheit an. Welch herrlicher Triumph der Inquisition!
»Nun kann der Henker kommen!«, schloss Bruder Espina.
Joan konnte sich nicht beherrschen und durchbrach die Absperrung, die die Soldaten bildeten. Er rannte zu den Corrós, die mit gesenktem Kopf immer noch auf dem Boden saßen.
»Vergebt mir!«, rief er und nahm mit tränenfeuchten Augen die Hände Señora Corrós in die seinen.
Sie blickte hoch und lächelte, als sie ihn erkannte. Dieser Blick ließ ihn erschaudern. Er erinnerte ihn mehr als je zuvor an den Blick seiner Mutter. Er sollte sie zum zweiten Mal verlieren.
»Gott segne dich, Junge«, flüsterte sie.
Er küsste ihre Hand, und sie streichelte ihm sanft die Wange. Gern wäre er den ganzen Nachmittag bei ihr geblieben, doch er wusste, dass ihm keine Zeit blieb.
»Verzeiht mir, Herr!«, sagte er zu dem Buchhändler.
Dieser blickte ihm in die Augen, nickte zustimmend und mit niedergeschlagener Miene, doch er sagte nichts. Dann streckte er seiner Frau die Arme entgegen, und beide umarmten sich wieder.
»Geh weg von hier, Junge!«, hörte er.
Eine Hand packte ihn an der Schulter und stieß ihn von den Gefangenen fort. Joan erblickte den Henker, der einen Strick und einen Stock hielt. Er kannte ihn aus den Schänken, dort hätte er sich von diesem Kerl niemals anfassen lassen. Er war ein Geächteter. Kein Wirt schenkte ihm etwas in einem Glas des Lokals ein, er musste sein eigenes in die Schänke mitbringen. Aber hier, in diesem
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