Am Horizont die Freiheit
wurde, so wurde er in den Feuerpfuhl geworfen.«
Erschüttert lauschte Joan diesen schrecklichen Worten. Die Bücher enthielten Leben und Tod, und sie konnten sehr gefährlich werden, wie er nun unglücklicherweise nur zu gut wusste. Doch ein Murmeln Meister Guillems riss ihn aus seinen Gedanken: »Die Predigt gefällt mir überhaupt nicht. Sie haben sie zum Scheiterhaufen verurteilt.«
Der Augustiner setzte seinen Vortrag fort. Immer erregter und prophetischer rezitierte er Ausschnitte aus einer anderen Apokalypse: »Und einige waren daselbst an den Zungen aufgehängt. Das waren die, welche den Weg der Gerechtigkeit verlästern. Und unter ihnen brannte ein Feuer, das sie strafte.«
Joan dachte, dass sich seine Sünde damit vergleichen ließe und dass auch er eine Strafe verdient habe. Er rang damit, sich der ihn erdrückenden und von ihm gefühlten Bürde zu entziehen, doch die schreckliche Predigt des Mönchs riss ihn mit sich, und er meinte, dass Guillem recht hatte: Die Predigt sagte den Tod voraus. Er blickte sich um und sah, dass den Leuten die Angst im Gesicht geschrieben war, während sie zugleich mit krankhafter Lust zuhörten.
»Wenigstens gehört Joan Ramón, ihr Sohn, den sie aus Lleida kommen ließen, nicht zu den Verurteilten«, kommentierte Lluís.
»Er ist noch nicht strafmündig«, entgegnete Guillem. »Wahrscheinlich kommt er mit einer Gefängnisstrafe davon.«
Dann wurde eine Messe gelesen. Nach ihrem Ende stieg der Notar der Inquisition auf die Kanzel, und mit hohlklingender und dröhnender Stimme zählte er die Verfehlungen der Abwesenden auf, die von den Hanfpuppen dargestellt wurden. Schließlich verkündete er das Urteil. Es war für alle dasselbe: der Scheiterhaufen.
Als er zu den Corrós kam, erflehte Joan atemlos im Gebet, dass sie eine Ausnahme bilden würden. Aber die Anklagen glichen weitgehend den vorhergehenden: Sie hätten Fleisch und Gemüse mit Öl zubereitet und es vermieden, tierisches Fett zu benutzen. Sie kochten nicht einmal mit Schaffett, um es nicht mit Schweinefett zu verwechseln. Sie hätten am Freitagabend den Tisch mit sauberen Tischtüchern gedeckt und am Sonnabend, dem Feiertag der Juden, saubere Wäsche angezogen. Beim Tod ihrer Eltern hätten sie rohe Eier gegessen, und den Leichen hätten sie eine Münze in den Mund gesteckt. Sie durchschnitten den Lämmern die Sehnen der Hinterbeine, wie es die Bibel zum Gedenken an den Kampf Jakobs gebot …
»Aber das heißt doch nicht, dass sie die jüdische Religion befolgen«, protestierte Joan leise. »Diese Bräuche haben sie von ihren Eltern und Großeltern geerbt. Sie müssen keine Bedeutung haben.«
Schließlich führte der Notar die verbotenen Bücher aus ihrer Buchhandlung auf, von denen viele judäisch waren. Er endete mit der Urteilsverkündung: »Wegen ihrer Ketzerei sollen sie auf dem Scheiterhaufen von El Canyet lebendig verbrannt werden. Doch wenn sie im letzten Augenblick um Milde bitten und sich mit dem christlichen Glauben versöhnen, wird man ihnen aus Nächstenliebe die Gnade gewähren, dass der Henker sie zuvor erdrosselt.«
Ein Gemurmel breitete sich auf dem Platz aus. Es würde ein Schauspiel geben.
52
A ls Joan das Urteil hörte, wanderte sein Blick zur Tribüne der Angeklagten. Während der endlosen Predigt hatte sich das Ehepaar Corró kaum bewegt. Hin und wieder sah es so aus, als flüsterten sie miteinander. Doch als Antoni Ramón Corró die grausame Strafe hörte, trat er zu seiner Frau, und beide vereinten sich in einer verzweifelten Umarmung.
›Sie werden durch meine Schuld sterben‹, sagte sich Joan.
Aber die Zeremonie war noch nicht zu Ende. Bruder Alonso Espina übergab die Verurteilten nun feierlich an Enrique von Aragonien, den Statthalter des Königs. Dieser erteilte den königlichen Truppen den Auftrag, die Gefangenen hinzurichten. Die Gelübde der Inquisitoren verboten ihnen, Blut zu vergießen. Bruder Espina würde seine Hände sauber halten.
Mit langsamen Schritten begann die Prozession nun den sogenannten Weg der Schande, der durch die Stadt führte und sie am Portal de Sant Daniel verließ. Die Mönche sangen ihre Litaneien, und die Trommeln gaben den langsamen und feierlichen Rhythmus des Gangs zur Hinrichtung an. Diesmal lief eine Gruppe Soldaten hinterher, die Holz für den Scheiterhaufen trug.
Die Corrós waren im Viertel bekannt, und als sie an ihren Nachbarn vorbeigekommen waren, hatten diese ein respektvolles Schweigen bewahrt. Doch als sie nun verurteilt und
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