Am Horizont die Freiheit
meine Launen nicht länger ertragen. Ich müsste seit Jahren verheiratet sein, und sie würden mir keine weiteren Ausflüchte und Verzögerungen erlauben. Ihr seid so weit weg, mein Liebster! Glaubt mir, dass ich diese Heirat nicht will, aber ich kann mich nicht länger weigern. Es ist meine Pflicht als Tochter zu gehorchen.
Ich weiß nicht, wie ich Euch sagen soll, dass es mir unendlich leidtut und dass ich von ganzem Herzen wünschte, die Freuden der Liebe in Euren Armen kennenzulernen. Doch Ihr sollt wissen, dass mein Herz stets Euch gehören wird.
Ich werde für Euch beten, und ich bitte Euch flehentlich, dass auch Ihr für diese Unglückliche betet, die ihre Seele und all ihre Tränen diesem Schreiben anvertraut.
Anna
Joan erstarrte mit dem Brief in der Hand. Seine Augen füllten sich mit Tränen, während er ihn noch einmal las. Seine schlimmsten Befürchtungen waren eingetreten. Er hatte so lange in Barcelona ausgeharrt, anstatt Anna sofort nach Neapel nachzureisen. Er hatte sich damit entschuldigt, dass es ihm an Mitteln fehlte und dass er auf die Flotte Vilamarís warten musste, um zu erfahren, wo sich seine Familie aufhielt. Wie dumm er gewesen war!
Joan hatte nichts herausgefunden, sondern war zudem auch noch in Ketten gelegt worden. Er wollte den Brief abermals lesen, doch die Tränen gestatteten es ihm nicht. Voller Wut zerriss er ihn und warf die Fetzen über Carles’ Kopf hinweg ins Meer. Sofort bereute er es. Es war Annas letzter Brief gewesen! Man zwang sie zu heiraten, und er war angekettet und konnte nichts tun! Er verspürte maßlosen Zorn auf sich selbst.
Er sprang auf und zerrte so lange schreiend an seinen Ketten, um sie herunterzureißen, bis seine Hände und sein Fußknöchel bluteten.
Carles wollte ihn festhalten, damit er sich nicht mehr verletzte, doch er stieß ihn heftig an die Bank. Voller Zorn schlug er nun mit dem Kopf ans Ruder.
»Helft mir!«, flehte Carles. »Er bringt sich noch um!«
Amed packte ihn am linken Arm. Joan wehrte sich verzweifelt, um von ihm loszukommen, während ihn Carles wieder packte. Jerònim und Sanç hielten ihn von hinten fest, und die Männer auf der vorderen Bank halfen ihnen.
»Beruhige dich, Junge!«, sagte Jerònim.
Joan war von Armen umschlungen, die ihn festhielten, er konnte nur noch zum Himmel blicken. Das tat er mit einem wütenden, bekümmerten und verzweifelten Schrei.
Der Galeerensträfling ein paar Bänke weiter, der nie einen Brief erhalten hatte und kurz zuvor noch einen haben wollte, sagte zu seinem Gefährten, er habe es sich anders überlegt. Er wolle keinen Brief wie diesen haben, auf gar keinen Fall.
69
J oan beantwortete den Brief nicht. Er konnte es nicht. Was sollte er Anna auch sagen? Die einzige angemessene Antwort wäre es gewesen, sofort nach Neapel zu fahren und Anna zu bitten, mit ihm zu fliehen. Das wäre Wahnsinn, doch das einzig Würdige, was sein Herz ersehnte und was Anna, so schien es, ihm mit ihren Zeilen sagen wollte. Stattdessen war er mit Eisenfesseln an dieses verdammte Holz gebunden. Er konnte nichts tun und wurde von Mutlosigkeit überwältigt. Wozu sollte er noch leben, ohne die Hoffnung, sie zu bekommen? Er dachte nach und sagte sich, dass ihm ja noch seine Familie blieb, dass er seine Mutter und seine Schwester befreien musste und dass dies ein ausreichender Grund war, weiterzukämpfen.
Als er sich beruhigt hatte, gelobte er, dass er Anna dennoch suchen würde, sei sie nun verheiratet oder nicht. In seinem Buch notierte er, was er dem Mädchen noch nicht schreiben konnte.
»Ich liebe Euch, Anna. Ich werde Euch immer lieben, und nichts wird mich zurückhalten, bis ich Euch in den Armen halte.«
Die Flotte patrouillierte an den Inseln der Meerenge von Bonifacio und des Maddalena-Archipels nach Norden. Es war eine Meeresgegend mit klarem, durchsichtigem Wasser, die Joan an die Küste vor seinem Dorf erinnerte. Sie entdeckten keine weiteren Piraten und Korsaren, die diese Gewässer oft durchkreuzten. Es schien, als wären sie verschwunden, weil die Anwesenheit der Flotte sie alarmiert hätte. Da es keinen Kampf gab, blieb Joan in Ketten. Doch darauf kam es ihm nicht mehr an. Tatsächlich freute ihn das Rudern. Die körperliche Anstrengung milderte seinen Schmerz und seine Trauer.
Unter den Galeerensträflingen verbreitete sich ein Gerücht, das Joan in noch tiefere Verzweiflung stürzte. König Ferdinand hatte wohl dem Admiral befohlen, sich bei seiner Fahrt nach Neapel nicht allzu sehr zu
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