Am Horizont die Freiheit
Haut und rundliche Formen, und wäre sein Haar nicht kurzgeschoren gewesen, so hätte man ihn von hinten für ein Mädchen halten können. Die ersten Peitschenhiebe zerfetzten seine zarte Haut. Doch im Gegensatz zu dem Gebrüll, das Sanç ausgestoßen hatte, als er die Hiebe abbekam, oder zu den Klagelauten, die Joan herausgerutscht waren, gab Carles außer einem tiefen Seufzer nichts von sich.
Es war das letzte Mal, dass er seine Würde bekundete.
Die Peitsche riss tiefe Wunden. Das Fleisch platzte auf, als würde es von Messern aufgeschlitzt, und das Blut rann vom Rücken hinunter und bildete Pfützen zu seinen Füßen. Es herrschte absolute Stille. Nur die Hiebe waren zu hören. Joan stand auf dem Mittelgang, nicht weit von dem Jungen entfernt. Er hatte feuchte Augen und bohrte sich voller Wut und Schmerz die Fingernägel in die Handflächen.
Kurz darauf hing Carles in seinen Fesseln. Er bewegte sich wieder, und Joan nahm an, dass er bewusstlos war und bald verbluten würde. Er hatte nicht einmal fünfzig Hiebe erhalten, aber die Aufseher, die sich bei der Bestrafung ablösten, schlugen weiterhin auf den regungslosen Körper ein, bis sie den dreihundertsten Hieb ausgeführt hatten. Das aufgerissene Fleisch gab die Rückenknochen frei.
Als man Carles losband, sank er in seine eigene Blutpfütze. Die Aufseher legten ihm einen Strick um den Hals. Sie zwangen Joan, Sanç und zwei weitere Sträflinge, an dem Seil zu ziehen, bis die Leiche weit oben am Mast hing. Dort würde man sie hängen lassen, um zu demonstrieren, welche Strafe einen meuternden Galeerensklaven erwartete. Der Tod war nicht genug. Die Überreste sollten verwesen und den Seevögeln zum Fraß dienen.
Der Körper schwang hin und her, wie es den Bewegungen des Schiffes entsprach, und während er schaukelte, rann weiterhin Blut aufs Deck. Mehrere Tropfen dieses purpurroten Regens trafen Joan, der für die Seele seines Freundes betete, während er an dem Strick zog, der ihn hochsteigen ließ.
71
N ach der Hinrichtung setzte man zwei freiwillige Ruderer auf die Plätze von Carles und Jerònim. Die Flotte nahm Kurs nach Süden, zu den Inseln San Pietro und Sant’Antioco, um von dort aus nach Sizilien weiterzufahren.
Am zweiten Tag kam der Rudermeister persönlich zu Joan, zusammen mit einem Aufseher, der seine Ketten losmachte.
»Der Kapitän will dich sehen«, sagte er.
Kapitän Perelló saß mit dem Admiral und dem Steuermann am Tisch. Die Männer hatten mehrere Seekarten vor sich. Der Offizier verabschiedete den Rudermeister und den Aufseher mit einer Handbewegung und unterhielt sich weiter über Winde und Seewege, ohne sich um den Jungen zu kümmern. Joan blieb schweigend stehen und wartete, dass man ihn ansprach. Als die Unterhaltung zu Ende war, sagte der Kapitän zu ihm: »Von heute an dienst du nicht mehr beim Rudern, sondern hier auf dem Kampanjedeck.«
Joan konnte ein halb überraschtes, halb glückliches Lächeln nicht unterdrücken.
»Glaube nicht, dass wir deine Strafe erleichtern wollen«, erklärte der Offizier. »Die Aufseher denken nämlich, dass wir dich wegen Garaus Tod eigentlich hinrichten müssten. Sie glauben, dass du bei dem Verbrechen mitgewirkt hast, dass du vorher in Barcelona schon einen anderen Aufseher ermordet hast und dass jetzt du sterben musst.«
Das Lächeln verschwand aus Joans Gesicht. Es stimmte, dass sich Carles ohne seine Hilfe nicht von seinen Vergewaltigern hätte befreien können und dass er alleine niemals Garau getötet hätte.
»Vielleicht haben sie recht«, sagte der Kapitän weiter. »Aber es hat uns gefallen, wie du mit den Feldschlangen umgegangen bist. Du kannst uns nützlich sein. Außerdem ist unser bester Artillerist vor ein paar Monaten gestorben. Dich wollen wir lebendig haben.«
»Diese Männer wollten Carles vergewaltigen.« Joan konnte sich nicht zurückhalten. »Er war schon nackt, als er sich von ihnen befreien konnte, und dann hat er Garau getötet. Das tat er, um sich selbst zu verteidigen.«
Kapitän Perelló blickte ihn kurze Zeit an, bevor er sprach. »Ich habe dir gesagt, dass es auf meinem Schiff keine Sodomiten gibt.« Er ließ seine Worte nachklingen. »Wenn ich das noch einmal von dir höre, lasse ich dir die Rückenhaut mit Peitschenhieben herunterreißen.«
»Dass Carles sterben musste, war sehr ungerecht«, betonte Joan hartnäckig und mit einer Wut, die er mühevoll zurückhielt und die seine Angst verstummen ließ. »Auch meine Verurteilung zur Galeerenstrafe war
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