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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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Körper trennten, fanden sich dann ihre Münder, und Joan erfuhr eine neue Form derselben unbeschreiblichen Wonne. Nach und nach wurden sie sich bewusst, dass ihre Zeit zu Ende ging, und sie schob ihn sanft von sich, um ihm in die Augen zu blicken. Über ihre Wange glitt eine Träne.
    »Ich liebe Euch«, sagte er und kam dem zuvor, was sie sagen wollte. »Ich liebe Euch so, wie ich nie geliebt habe oder lieben werde. Niemand kann mehr lieben, als ich Euch liebe.«
    »Ich liebe Euch auch«, bekannte sie. Sie wandte den Blick ab und umarmte ihn abermals.
    Da hörte Joan, wie sie ihm ins Ohr flüsterte: »Aber es kann nicht sein. Wir müssen einander vergessen.«
    ›Nein‹, sagte er zu sich selbst, ohne laut zu antworten. Für nichts auf der Welt würde er auf sie verzichten. Aber dann wurde ihm wieder klar, dass er ihr außer seiner Liebe nichts bieten konnte. Trotz des Anscheins seiner guten Kleidung und seines Degens im Gürtel war er nichts weiter als ein Galeerensklave, dem das Glück und ein großzügiger Valencianer ein paar Münzen in die Tasche gesteckt hatten. Sie hingegen war eine geachtete Dame, die in einem Palast wohnte und alles hatte, was sie wollte. Dies wäre die Gelegenheit, sie anzuflehen, alles aufzugeben und mit ihm zu entfliehen. Sie würden an einen Ort fahren, wo sie ihre Liebe frei und ganz uneingeschränkt leben konnten. Aber er verfügte ja nicht einmal über seine eigene Freiheit. Die einzige Zukunft, die er ihr geben konnte, war das Leben eines geflohenen und verfolgten Sklaven.
    »Warum?«, wollte er schließlich wissen und hielt sie gerade so weit von sich entfernt, um ihr in die Augen blicken zu können. »Warum dürfen wir uns nicht lieben?«
    »Ich bin verheiratet.«
    »Aber Ihr liebt mich«, entgegnete er erregt. »Heute kann ich Euch nichts bieten, doch ich verspreche Euch, dass ich ein großes Vermögen erwerben werde, um Euch wie eine Königin zu behandeln …«
    Sie unterbrach ihn und verschloss in einer zärtlichen Geste seine Lippen mit ihrer Hand.
    »Es geht nicht um Geld oder Vermögen, sondern um Treue.«
    »Treue? Zu Eurem Ehemann?«
    »Zu meiner Familie.«
    »Was hat Eure Familie damit zu tun?«
    »Alles. Mein Vater hat diese Ehe vereinbart, und ich habe gehorcht und geheiratet. Als wir als Flüchtlinge nach Neapel kamen, war es nicht einfach für uns. Es gab viele aus Spanien geflohene Konvertiten, alle hatten gute Berufe, und kunstverständige Juweliere wie mein Vater waren reichlich vorhanden. Was wir aus Barcelona mitnehmen konnten, genügte nicht einmal, um einen Laden zu öffnen. Riccardo Lucca hat uns geholfen, und ich war ein Teil der Vereinbarung. Und nicht nur das. Meinem Ehemann ist es zu verdanken, dass mein älterer Bruder hier in Neapel ein Edelmann werden konnte.«
    Ihr entschlüpfte ein Seufzer.
    »Versteht Ihr jetzt?« Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    »Aber Ihr liebt mich!«
    Sie nickte. »Trotzdem schulde ich ihm Achtung. Darum müssen wir einander vergessen.«
    »Nein!«, rief Joan. »Ich werde Euch nie vergessen! Niemals!«
    Anna schloss die Augen und schüttelte den Kopf.
    »Hört zu«, drängte er. »Euer Gatte mag Euren Körper besitzen, aber er hat kein Recht auf Eure Seele und Euren Geist. Er kann Euch nicht zwingen, dass Ihr aufhört, mich zu lieben. Die wahre Freiheit ist in unserem Innern, und keiner kann uns zwingen, unsere Gedanken, unsere Gefühle zu ändern. Keiner hat diese Macht und dieses Recht.«
    Anna hielt die Augen weiter geschlossen. Sie hatte offenbar eine Entscheidung getroffen.
    »Ihr habt schon erfüllt, wofür er Euch bezahlt!«, rief Joan wütend. »Mehr darf er nicht von Euch verlangen!«
    Anna öffnete die Augen und starrte ihn erschrocken an. Sie spürte, wie wütend er war.
    »Verzeiht«, sprach er weiter, als er ihre Unruhe bemerkte. »Ich bitte Euch doch nur darum, dass wir auf irgendeine Weise weiter zusammenbleiben. Indem wir uns auf der Straße sehen. Indem wir Briefe in der Buchhandlung hinterlegen. Indem wir das Glück genießen, das uns Gott gewährt.«
    »Wir werden viel leiden«, sagte sie mit sanfter Stimme.
    »Wir werden auf jeden Fall leiden!«, rief Joan ungestüm. »Glaubt Ihr etwa, dass ich Euch vergessen kann? Ich soll eine andere Frau finden, habt Ihr mir in dem Brief geschrieben! Aber glaubt Ihr, dass so etwas möglich ist? Niemals! Hört Ihr? Niemals!« Er schwieg einen Augenblick und setzte in ruhigem, jedoch ganz und gar entschiedenem Ton hinzu: »Außerdem bin ich mir sicher, dass der Tag

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