Am Horizont die Freiheit
nicht in seine Transaktionen ein und schien sie sogar gutzuheißen.
»Ein Edelmann muss in der Lage sein, über Kunst und Philosophie zu sprechen«, verkündete Vilamarí oft.
»Du wirst ja zu einem richtigen Buchhändler«, sagte Antonello. »Wenn du so weitermachst, muss ich den Prozentsatz deiner Provision erhöhen.«
»Ich bin einverstanden, den Satz zu behalten, den ich habe, wenn Ihr mir erlaubt, Euch in der Druckerei zu helfen.«
»Willst du etwa mit mir konkurrieren?«, fragte der Neapolitaner lachend.
»Ich wollte immer Buchhändler werden«, bekannte Joan.
»Das habe ich befürchtet«, antwortete Antonello mit seinem spöttischen Lächeln. »Geh in die Werkstatt. Aber ich hoffe, dass du hilfst und nicht störst.«
Joan atmete wieder den Duft neuen Papiers und frischer Druckfarbe ein. Er liebte diesen Geruch. Doch Drucken war ein viel schmutzigerer Beruf als der des Schreibers. Als Lehrling musste er die Pressen von der Farbe säubern. Schließlich hatte er schmutzige Fingernägel, etwas für einen Edelmann höchst Unpassendes. Trotzdem bedeutete dies für Joan eine kleinere Unannehmlichkeit. Er war glücklich, weil er sich an der Entstehung neuer Bücher beteiligte. Was die Hände betraf, so hatte man glücklicherweise Winter, und ein Edelmann, als der er erscheinen wollte, musste ohnehin Handschuhe tragen.
Weihnachten 1494 standen die Franzosen kurz vor dem Einmarsch in Rom, während Papst Alexander VI . verhandelte, um zu verhindern, dass man ihn mit Waffengewalt absetzte. Noch residierte er im Vatikan, doch die Engelsburg, deren Wache beinahe ausschließlich aus Spaniern, in ihrer Mehrheit Valencianern, bestand, war auf eine lange Belagerung vorbereitet. Inzwischen gab es auf den Straßen Neapels weiterhin keinerlei Aufregung wegen der bevorstehenden Ereignisse. Es war etwas länger als fünfzig Jahre her, dass das Königreich von der französischen Dynastie der Anjous regiert wurde, und man glaubte nicht, dass deren Rückkehr ihr Leben entscheidend verändern würde.
Joan und Anna trafen sich nun beinahe regelmäßig in der Buchhandlung, seitdem sie ein paar Tage vor Weihnachten unter dem Vorwand zurückgekommen war, ein Geschenk zu kaufen. Sie war zweiundzwanzig Jahre alt, und er würde bald dreiundzwanzig. Antonellos Ehefrau freundete sich mit der Haushälterin an, die sich hochgeehrt fühlte, weil eine so hervorragende Bürgerin wie die Buchhändlerin sie derart liebenswürdig behandelte. Die Haushälterin ließ sich vom schwungvollen Geplauder der anderen blenden und erlahmte in ihrer Überwachung, weil sie glaubte, die
Signora
bleibe mit den Büchern allein. Doch die
Signora
vergaß unverzüglich die Bücher und warf sich in Joans Arme, sobald sie zum oberen Stockwerk des Hauses hinaufgestiegen war.
Die Umarmungen und Küsse waren so wundervoll wie am ersten Tag. Aber für die Liebenden verging die Zeit im Fluge, und Joan wollte mehr. Beim vierten Zusammensein in Antonellos Arbeitszimmer wagte er es, sie um das zu bitten, was er ersehnte.
»Lasst mich in der Nacht in Euer Haus ein. Ich muss länger bei Euch sein.«
»Seid Ihr verrückt, Joan?«, entrüstete sie sich und blickte ihm bestürzt in die Augen. »Und mein Mann?«
»Euer Mann ist in letzter Zeit viel unterwegs. Man munkelt, dass er ein Anhänger der Anjous ist und die Ankunft Karls VIII . in Neapel vorbereitet.«
Anna errötete.
»Das würde ich Euch nicht sagen, selbst wenn ich es wüsste«, antwortete sie verlegen. »Ich bin ihm Treue schuldig, ganz gleich, wie seine politische Haltung ist.«
»Mich kümmert es nicht, zu welcher Partei er gehört«, sagte er, um sie zu beruhigen. »Mir kommt es als Einziges darauf an, dass er Euch viele Nächte lang allein lässt.«
»Mein Haus ist beinahe eine Burg, und die Diener sind bewaffnet«, sprach sie aufgeregt weiter. »Joan, Ihr könnt unmöglich durch die Tür kommen und zu mir vordringen.«
»Ich will nicht durch die Tür hinein.«
Sie blickte ihn fragend an.
»Ich bin Seemann, Anna. Ich kann an Seilen und Tauen hochklettern. Ich habe Euer Haus lange beobachtet. Die Fenster im Erdgeschoss sind vollständig vergittert, und genauso ist es im ersten Stock, abgesehen von ein paar Jalousien, die offenbar fest angebracht sind. Aber im zweiten Stock lassen sich die Jalousien von innen öffnen. An der linken Seite des Gebäudes läuft eine Gasse entlang, die nachts völlig finster ist. Ihr braucht mir nur von den Jalousien des zweiten Stocks auf dieser Seite ein Seil
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