Am Horizont die Freiheit
einem bestimmten Zeitpunkt fühlte sich Joan plötzlich unbehaglich. Innico beobachtete ihn mit besonderer Aufmerksamkeit, als wollte er seine Kenntnisse, Meinungen und Kommentare bewerten.
Innico brachte das Gespräch auf die neue Zeit, die sie erlebten. Nun entdeckte der Mensch das Licht des antiken Wissens nach der Nacht des barbarischen gotischen Zeitalters, das nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches zu Dunkel und Unwissenheit der Menschheit geführt hatte. Gott war weiterhin wichtig, doch fortan war es auch der Mensch, seine größte Schöpfung. Der Mensch war der Mittelpunkt der vom Höchsten Wesen geschaffenen Welt. Das Wissen war das Licht, das sie erhellte, und das Dunkel war die Unwissenheit.
Als Innico von diesem Licht sprach, geriet er ins Schwärmen und streichelte ein goldenes Medaillon, das an seinem Hals hing und das er aus dem Hemd hervorgezogen hatte. Darauf war ein gleichschenkeliges Dreieck in einem Kreis zu sehen.
Joan konnte es sich nicht verkneifen, von seiner tragischen Erfahrung mit der Inquisition und dem Tod der Corrós auf dem Scheiterhaufen zu erzählen, weil sie verbotene Bücher verkauft hatten und in den Verdacht geraten waren, jüdische Riten zu praktizieren.
»Wie abscheulich!«, rief Innico. »Gott hat dem Menschen die Fähigkeit des Denkens gegeben, und andere Menschen haben nicht das Recht, ihm zu sagen, was er glauben oder lesen soll. Die Inquisition ist die Finsternis.«
»Ich denke wie Ihr!«, stieß Joan hervor. »Gott hat uns den freien Willen gegeben. Deshalb müssen wir die Freiheit genießen, das Denken anderer Menschen kennenzulernen, entweder durch das Wort oder die Schrift, und selbst darüber entscheiden.«
»Zum Glück haben wir jetzt die Buchdruckerkunst, die es ermöglicht, Wissen, Meinungen und Glaubenslehren schneller zu verbreiten«, sagte Innico.
»Religionen sind vorgezeichnete Wege zu Gott«, sprach Antonello weiter. »Es gibt viele Religionen, aber einen einzigen Gott. Die Religionen müssen im Dienst des Menschen stehen, um ihn dem Höchsten Wesen näherzubringen. Der Mensch soll Gott dienen und nicht der Religion, die nur der Weg ist, um zu Ihm zu gelangen.«
Innico nickte zustimmend.
»Wenn Spanien die Einheit seiner Königreiche festigt, wird es sich zur künftigen Großmacht entwickeln«, erklärte er. »Aber es muss vorsichtig sein, wenn es die Religion als politisches Instrument benutzt. Das kann der Ausgangspunkt seines Niedergangs werden. Königin Isabella ist eine inbrünstige Katholikin und unterstützt die Inquisition von ganzem Herzen, weil sie von ihren Beichtvätern beeinflusst wird. König Ferdinand benutzt sie hingegen als Instrument, um seine Reiche zu vereinigen, um sie zu unterwerfen und als Einnahmequelle. Er bedient sich des Dunkels, während wir in der Zeit des Lichts leben.«
Dieses Gespräch gab Joan viel Stoff zum Nachdenken. Innico d’Avalos war eine charismatische Persönlichkeit und ein glänzender Denker. Doch sein Medaillon schien heidnisch zu sein.
Er erkundigte sich bei Antonello. Dieser erzählte ihm, d’Avalos sei ein neapolitanischer Adliger, der die Sache Aragoniens unterstütze. Sein Vater, der auch Innico oder Íñigo hieß, sei mit Alfons V. von Aragonien aus Spanien gekommen und habe ihm geholfen, das Königreich zu erobern. Als Belohnung habe man ihm eine Grafschaft und die Ehe mit einer neapolitanischen Marquise bewilligt. König Alfons V. war ein großer Kunstmäzen, der seine Verehrung der Klassiker bekundete und zu einem außerordentlichen Förderer der Kunst wurde. Unter seinen Ratgebern gefielen ihm die Bücher am meisten, weil weder Furcht noch Hoffnung sie daran hinderten, ihm zu sagen, was er tun sollte. Diese Leidenschaft prägte seinen ganzen Hof, und Innico hatte sich dieses Erbe zu eigen gemacht. Er war nicht nur Militär, sondern auch ein großer Kunstliebhaber.
»Und wie kommt es, dass eine so wichtige Persönlichkeit mit mir essen wollte?«, fragte Joan.
Antonello lachte.
»Vielleicht, weil auch du wichtig bist«, sagte er.
Die Antwort beruhigte Joan nicht.
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A ls die bei Bartomeu bestellten Bücher aus Barcelona eintrafen, schickte Joan sie nach Rom und erhielt das Geld. Es gab weitere Aufträge für
Tirant lo Blanc
, doch der junge Mann begann nun, auch andere spanische Werke anzubieten. Wenn die französische Invasion es nicht verhinderte, würde er sein Geschäft ausweiten. Sogar den Offizieren auf seiner Galeere verkaufte er schon Bücher. Der Admiral mischte sich
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