Am Horizont die Freiheit
kommen wird, an dem ich Euer Ehemann sein kann. Das verspreche ich Euch.«
Sie schob ihn sanft und wortlos von sich. Mit Tränen in den Augen schüttelte sie abermals den Kopf.
»Ich muss gehen«, sagte sie. »Die Haushälterin kommt jeden Augenblick zurück, und sie darf uns nicht überraschen. Mein Mann würde Euch umbringen lassen.«
Laute Geräusche aus dem Obergeschoss bestätigten gewissermaßen ihre Worte. Antonellos Frau kam die Treppe herunter und schrie dabei unüberhörbar. Anna wollte hastig aus dem Zimmer laufen und in die Buchhandlung zurückkommen. Joan hielt sie nur noch kurz zurück.
»Ich flehe Euch an, verweigert mir nicht Euren Anblick«, stieß er hervor. »Und bitte, schreibt mir.«
88
I n den nächsten Tagen patrouillierten die vier Galeeren Vilamarís an der Nordküste, von den Inseln Procida und Ischia bis über die Ponza-Inseln hinaus, ohne dass sie französische Schiffe entdeckten. Sie führten die Fahnen von Neapel und Aragonien.
Da traf die Nachricht von der Niederlage in Florenz und vom Vormarsch der französischen Armee nach Süden ein. Der König von Neapel wollte sie aufhalten, und darum schickte er ein Landheer nach Rom, um dem Papst beizustehen. Die spanischen Könige riefen Gonzalo Fernández de Córdoba, einen Militär, der beim Krieg von Granada großes Talent gezeigt hatte. Er sollte mit einem kleinen Heer an Bord der Flotte des Admirals Galcerán de Requesens nach Sizilien fahren, um diese Insel vor den französischen Ansprüchen zu schützen.
Doch all diese Vorzeichen eines Krieges kümmerten Joan wenig. Er dachte nur daran, nach Neapel zurückzukehren, um Anna zu sehen. Sie hatte ihm nichts versprochen und immer noch keinen Antwortbrief in der Buchhandlung hinterlassen. Joan war niedergeschlagen, und seine Unruhe steigerte sich zu Wutausbrüchen beim geringsten Zwischenfall. In seiner Angst schlief er kaum noch. Sonntags, wenn die Galeere im Hafen lag, sah er Anna bei Spaziergängen mit ihrem Gatten, und sein Hass gegen diesen Mann wurde bei jeder Begegnung größer. Wenn sie mit der Haushälterin ausging, erschien sie ihm entspannter, bedeckte sich nicht den Mund, und immer, wenn Joan ihr Lächeln von weitem sah, fühlte er, wie ihm vor Glück die Sinne schwanden.
Einmal, als er an den beiden Frauen vorbeilief, warf ihm Anna einen Blick zu, den er nicht deuten konnte. Als er sah, dass hinter den Frauen ein Taschentuch auf den Boden gefallen war, verstand er. Joan suchte einen Winkel, wo er den milden Lavendelduft riechen und den sanften Stoff des Taschentuchs streicheln konnte. Es war zart, von Spitzen umsäumt, und als er es auseinanderfaltete, sah er, dass in der Mitte etwas hineingestickt war. Es waren zwei Buchstaben: JA .
Joan dankte dem Himmel. Dieses Taschentuch gab ihm das Leben zurück. Wenigstens durfte er sie von weitem lieben. Sie würde sein Gefühl erwidern.
Die Tage vergingen, während man auf das Unvermeidliche wartete: auf die Ankunft des französischen Heeres in Neapel. Dies schien die Neapolitaner jedoch nicht im Geringsten zu beeindrucken. Sie bevölkerten die Straßen, kauften und verkauften, plauderten, lachten und sangen sogar. Kurz und gut, sie genossen das Leben in vollen Zügen.
Dass die Umrisse des Vesuvs zu ihrer Landschaft gehörten, der manchmal beunruhigende Rauchwolken ausspie und, vielleicht als Vorspiel einer Katastrophe, ein Beben in der Stadt hervorrief, hatte die Neapolitaner gelehrt, die Angst für jene Zeit aufzusparen, wenn die Katastrophen wirklich eintrafen.
Joans Leben spielte sich an Bord der
Santa Eulalia
oder in der Buchhandlung und vor Annas Haus ab. Als die Jahreszeit der Stürme begann, verringerten sich die Ausfahrten der Flottille auf ein Mindestmaß, und abgesehen von einer oder zwei Stunden, in denen Joan seine Arbeiten an Bord erledigte, durfte er unbeschränkten Landurlaub nehmen.
Als er einmal die Buchhandlung besuchte, lud ihn Antonello zum Essen ein und stellte ihm einen etwa sechzigjährigen, weißbärtigen Mann vor, der Innico d’Avalos hieß. Das Gespräch im Speisesaal des ersten Stocks verlief sehr lebhaft. Innico erwies sich als guter Buchkenner. Sie redeten Neapolitanisch, doch die gebildeten Formulierungen, die Innico und Antonello benutzten, brachten sie dem Toskanischen, dem sogenannten Altflorentinischen, näher, der Schriftsprache Dantes, Boccaccios und Petrarcas. Joan, der diese Autoren gründlich gelesen hatte, konnte ihnen mühelos folgen, als sie deren Werke kommentierten. Zu
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