Am Horizont die Freiheit
dem Schiff entfernt. Riccardo war vor zwei Tagen gestorben, es war Sommer, und die Leiche roch schon nach Verwesung. Hätte es sich um einen anderen gehandelt, hätte man ihn in einen Sack gesteckt, mit einem Stein beschwert und tief im Meer versenkt. Doch er war ein Adliger, und irgendjemand würde für die Leiche bezahlen. Joan musste auf die
Santa Eulalia
zurückkehren und den Preis mit dem Schreiber aushandeln.
Dieser wollte fünfzig Dukaten haben, und Joan sagte, er solle an der Leiche riechen, damit er feststellen könne, dass sie sie spätestens in einem Tag loswerden müssten. Schließlich bezahlte er nur drei Dukaten und noch einen halben, damit der Sarg zu Annas Eltern gebracht wurde. Der Palast der Luccas war unbewohnbar. Man war dort eingebrochen, und da man wenig Beute fand, steckte ihn die Menge in Brand.
Anna bestand darauf, den Leichnam ihres Gatten zu sehen. Ein unerträglicher Gestank drang aus dem Sarg, als man ihn öffnete. Riccardo Lucca war noch zu erkennen, auch die große Hiebwunde im Hals, die ihm das Leben entrissen hatte. Anna drückte einen Kuss auf seine Wange und verrichtete ein stilles Gebet. Als sie sich zu Joan umdrehte, blickte sie ihn fragend und mit tränenüberströmten Augen an.
»Ich war es nicht«, murmelte er unhörbar, wobei er nicht in der Lage war, auch nur ihren Blick auszuhalten.
Die Beisetzung fand unverzüglich statt, und Joan nahm am Trauergottesdienst in der Kathedrale teil, wobei er sich von Anna und ihren Familienangehörigen entfernt hielt. Ihn erfasste ein seltsames Gefühl, als er sich denen anschloss, die für den Mann beteten, den er getötet hatte. Die Absolution des Galeerenpfarrers genügte ihm nicht. Es stimmte, dass er ihn im Kampf, im Eifer des Gefechts getötet und selbst auch Todesangst empfunden hatte. Doch er dachte, wenn er gewollt hätte, hätte er den Tod des anderen verhindern können. Er hatte ihn um Annas willen getötet, und niemals könnte er die Augen Riccardo Luccas und seinen letzten Blick vergessen.
Antonello bot ihm ein Zimmer im ersten Stock seines Hauses an, doch Joan lehnte es ab. Er wollte zusammen mit den Lehrlingen und Gesellen in der Werkstatt des Buchhändlers schlafen. Im Leben wie in der Liebe fühlte er sich weiterhin als Lehrling. Er verstand nicht, was Anna durch den Kopf ging. Er hatte sich ausgemalt, dass der Tag ihres Wiedersehens der glücklichste seines Lebens sein würde, aber alles war ganz anders gekommen.
In dieser Nacht herrschte eine feuchte, klebrige Hitze. Joan wälzte sich auf seinem Feldbett hin und her, ohne dass er schlafen konnte, obwohl ihn die vertrauten Gerüche nach neuem Papier, Druckfarbe und Leder trösteten. Je mehr er darüber nachdachte, desto weniger konnte er Anna verstehen. Er sagte sich, dass sie Riccardo Lucca viel mehr geliebt hatte, als sie ihn ahnen ließ. Vielleicht liebte sie ihn sogar mehr als ihn.
Im ersten Morgenlicht suchte er sein Buch heraus und notierte: »Ich habe nicht den Mut, ihr die Wahrheit zu sagen.« Und dann: »Ich will sie nicht verlieren.«
105
A m nächsten Morgen ging Joan zu den Roigs. Die Goldschmiedewerkstatt, die Annas Vater in Neapel eingerichtet hatte, war nicht so groß und lag auch nicht so günstig wie die in Barcelona, sicherte indes der Familie das Überleben. Er sah, dass die junge Frau dort mithalf. Sie trug strenge Trauer. Obwohl ihr Gesicht noch die Strapazen der letzten Tage verriet, kam sie Joan wunderschön vor. Gern hätte er sie umarmt und geküsst, doch ihre Eltern waren ja anwesend, und das verhinderte jede Annäherung. Anna hielt sich abseits, während die Roigs Joan herzlich dankten, weil er ihre Tochter gerettet hatte. Schließlich, damit die jungen Leute allein reden konnten, gingen die Eltern zu dem Ladentisch, den sie auf der Straße hatten.
»Ihr bleibt dabei, dass Ihr mir die Freiheit gebt?«, fragte sie mit großem Ernst, wobei sie Joans Annäherungsversuche zurückwies.
»Natürlich.« Joan knöpfte sich das Hemd auf und holte das Dokument heraus, das die Bezahlung des Lösegelds für Anna bestätigte. Er hielt es ihr hin. »Es gehört Euch«, sagte er. »Ihr seid frei.«
Sie las gründlich.
»Hier steht Euer Name zusammen mit meinem. Ich will, dass Ihr meine Freiheit außerdem vor einem Notar bestätigt.«
»Behaltet dieses Dokument, und wenn ich von hier fortgehe, suche ich einen Notar auf, um Eure Freiheit zu beglaubigen.«
Nun lächelte sie.
»Danke«, sagte sie.
Joan war glücklich, weil sie
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