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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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Holzschnitte wiedergegeben wurden, zuweilen sogar mehrfarbig, insbesondere rot, schwarz und blau. Er dachte, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis dem Buchdruck den handgemalten ähnliche Bilder gelingen könnten.
    »Aber es gibt schwierigere Künste, die nur wenige Drucker beherrschen«, erklärte Antonello weiter.
    »Welche sind das?«, wollte Joan wissen.
    »Die Herstellung der Lettern. Bleilettern sind für einen Drucker die Hauptsache. Du weißt ja, es gibt umherziehende Drucker, die zum größten Teil aus Deutschland stammen und eine bestimmte Zeit in den einzelnen Städten verbringen, was von der verfügbaren Arbeit abhängt. Sie haben ihre Lettern immer bei sich. Das ist ihr wertvollster Besitz. Das übrige Material lässt sich leicht an Ort und Stelle ergänzen. Schöne Lettern herzustellen ist die schwierigste Kunst, und wenige Drucker sind imstande, das selbst zu erreichen.«
    Trotzdem hielt Joan die Herstellung der Lettern nicht für schwierig. Er hatte ja ein Naturtalent für Holzschnitzereien, und in Elois Werkstatt hatte er die Techniken des Bronzeschmelzens erlernt, bei dem man höhere Temperaturen als beim Blei brauchte.
    Die modische Schrift in Italien war die rundbogige römische Antiqua, die man schon als die des Buchdrucks der Renaissance bezeichnete. Ihre Großbuchstaben waren so, wie die Schriftzeichen aussahen, die an den Ruinen aus der Kaiserzeit eingemeißelt waren, die
Capitalis Quadrata Romana
, und die Kleinbuchstaben leiteten sich von den abgerundeten karolingischen Zeichen, den
Rotundae
, ab. Man konnte sie viel leichter als die verschiedenen Stile der gotischen Schrift lesen, und die Leser klassischer Werke bevorzugten sie. Antonello verfügte über drei unterschiedliche Sätze gotischer Druckbuchstaben, aber nicht über die neue Renaissanceschrift. Joan schlug ihm vor, eine herzustellen. Das wäre eine Möglichkeit, dem Buchhändler etwas für seine unschätzbare Hilfe zu danken. Er selbst zeichnete die Buchstaben, und zusammen mit mehreren Handwerkern stellte er eine Blei-, Antimon- und Wismutlegierung her, die sie in Formen aus geschnitztem Holz gossen.
    Obwohl die Buchstaben in denselben Formen entstanden, wiesen sie wegen des Feilens leichte Unterschiede auf. Joan suchte in ihnen die verborgenen Zeichen, Grimassen und Gebärden, die er in den Buchstaben gesehen hatte, als er kopierte, ohne lesen zu können. Damals sprachen die Buchstaben mit Gesten zu ihm. Jetzt aber nicht mehr.
    Er schrieb: »Die Zeit oder das Wissen hat mir die Phantasie geraubt. Ich hoffe, dass ich noch fähig bin, die Himmelswesen zu sehen.«
     
     
    »Du bist ein erfahrener Drucker geworden«, sagte Antonello und klopfte ihm auf die Schulter. »Nie habe ich jemanden erlebt, der so schnelle Fortschritte machte.«
    »Ich weiß, wie ich Bücher kopieren, drucken und einbinden kann«, antwortete er und lächelte glücklich. »Ich kenne das ganze Herstellungsverfahren. Trotzdem, was mir gefällt, ist Eure Arbeit.«
    »Meine Arbeit?«
    »Ja, die Arbeit, die Ihr leistet. Ihr habt eine Druckerei und eine Buchbinderei, aber um die Buchherstellung kümmern sich die Handwerker. Ihr verkauft Bücher an die Leute, die sie lesen wollen, ob es nun Bücher aus Eurer Werkstatt oder solche sind, die Ihr anderen Buchhändlern abgekauft habt. So, wie es Bartomeu in Barcelona macht.«
    »Ich verstehe schon«, antwortete Antonello. »Du bist klug, und du hast gesehen, dass Buchdrucken viel Mühe bereitet und wenig Geld einbringt, wenn man nicht große Mengen druckt.«
    »Nein, Antonello. Gott weiß, wie sehr ich Geld nötig habe. Ich werde viel brauchen, wenn ich meine Mutter und meine Schwester suche, und ich muss auch welches haben, um mit Anna eine Familie zu gründen und ihr ein würdiges Leben zu bieten, wenn sie mich endlich erhört. Aber jetzt habe ich nicht an das Geld gedacht, sondern an die Freude, als Mittler zwischen Leser und Buch zu wirken. Es muss wunderbar sein, wenn ich jemandem helfe, genau das Buch zu finden, das zu ihm spricht und das für ihn eine besondere Bedeutung hat.«
    »Also willst du mit mir konkurrieren.«
    »Ja, ich will Buchhändler werden«, bestätigte Joan. »Das wollte ich immer.«
    Antonello blickte ihn lächelnd an und nickte zustimmend. Das wusste er schon lange.

106
    J oan folgte Anna wieder von weitem, wie er es zehn Jahre zuvor in Barcelona getan hatte. Dabei bemühte er sich, nicht gesehen zu werden. Nur waren sie inzwischen keine Kinder mehr, er war dreiundzwanzig Jahre alt,

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