Am Horizont die Freiheit
ist sehr eifersüchtig und hat zu Hause das Sagen. Alles, was es dort gibt, gehört ihr.«
»Aber sie haben keine Kinder!«, sagte Gabriel bedauernd.
»Das macht es ihnen schwer«, antwortete der Mönch. »Sie haben keine Kinder, und als er eines adoptieren wollte, hat sie es rundheraus abgelehnt.«
»Und woher wisst Ihr das alles?«, erkundigte sich Joan.
Der Mönch lachte.
»Wir kennen alle Nachbarn und ihr Leben. Sie gehen zur Messe und zur Beichte.«
»Warum hat ihn sein Vater enterbt?«, wollte Gabriel wissen.
»Das ist ziemlich kompliziert«, erklärte der Mönch schnaubend. »Ihr werdet es nicht verstehen.«
Die Kinder sahen ihn fragend an, und der von Natur aus redselige Mann ließ sich nicht lange bitten.
»Ein Geschlecht von kühnen Kaufleuten, die Handelskonsulate überall am Mittelmeer und sogar an der Nordsee einrichteten, hat Barcelona groß und mächtig gemacht. Bartomeu Sastre stammt aus einer dieser Familien. Aber viele Angehörige der jüngeren Generationen kauften sich lieber einen Adelstitel und Ländereien, lebten von Renten und wollten sich keine Sorgen mehr machen, ob das mit Waren beladene Schiff unterging oder von Piraten überfallen wurde. Das hat der Vater Bartomeus getan. Aber er, der jüngere Sohn, wollte die Handelstradition fortsetzen. Dann kam der Bürgerkrieg. Bartomeus Familie stand aufseiten der Grundbesitzer, während er selbst für den König kämpfte, den auch die
remensas
unterstützten. Der König gewann den Krieg, doch Bartomeu hat man enterbt. Mit seinen Handelsgeschäften geht es ihm gut. Allerdings besitzt er bei weitem nicht das Vermögen seines Vaters oder seiner Frau.«
Nachdem der Mönch geendet hatte, zeigte er ihnen mit einer Geste, dass sie sich beeilen sollten.
»Vorwärts! Wir kommen noch zu spät zur Messe.«
Die Kirche hatte hohe Mauern, und die Fenster ließen graues Licht einfallen, das den halbdunklen Innenraum nicht erhellen konnte. Als sie zu den Mönchen kamen, drehten diese ihnen den Rücken zu. Sie trugen ihre schwarzen Kutten, und manche hatten die Kapuze übergezogen. Sie schwiegen und blickten zum Hauptaltar am anderen Ende, auf dem zwei Kerzen brannten. Ein Mönch stellte sich an den Altar und leitete die Gebete. Da er lang und mager war, vermutete Joan, dass es der Subprior war.
Die Gebete dauerten eine halbe Stunde. Joan hatte das Gefühl, sich an einem unwirklichen und unheimlichen Ort zu befinden. Wie sehr sehnte er sich nach dem blauen Meer, den über Felsen und Klippen emporragenden Pinien, dem hellen Himmel und den kleinen Wolken, die jene ätherischen und schönen Wesen formten! Wie sehr sehnte er sich nach seinem Vater und nach jener Zeit, als er ihn für unbezwinglich hielt, wenn er seine Harpune am Bug des Bootes hochreckte! Und er fragte sich, was wohl aus seiner Mutter, seiner Schwester María und Elisenda geworden war.
Er wünschte, dass er und Gabriel schnell groß werden würden, damit sie dieses entsetzliche Kloster verlassen konnten, um Soldaten zu werden, gegen die Mauren zu kämpfen und die Frauen zu befreien. In seinem Gebet fragte er den Herrgott, warum er so viel Unheil zugelassen hatte. Er fühlte, dass sein Hass gegen die Sarazenen wiedererwachte, und wünschte im Gebet, dass er viele von ihnen töten dürfte, Hunderte. Und dass der erbärmliche Mosén Dionís bestraft würde. Sein Inneres war viel finsterer als das der Kirche hier. Er spürte, dass seine Brust leer war und ihm eine Faust die Eingeweide zusammendrückte.
Als die Gebete endeten, stellte Bruder Jaume sie den Mönchen in der Reihenfolge vor, wie diese aus der Kirche kamen. Bruder Llorenç, Nicolau, Miquel, Francesc, Melchor und ein weiterer Jaume. Die Kinder küssten allen die Hand, und manche antworteten mit einem Satz, der sie willkommen hieß, andere mit einem Segen. Der Subprior lief zum Kreuzgang hinüber, ohne sie zu grüßen.
Außerdem waren drei Diener und ein hagerer Junge anwesend. Dieser trug eine dunkle Tunika, die noch keine richtige Kutte war, und als Gürtel benutzte er einen Strick. Es war der Novize. Bruder Jaume stellte ihn als Pere vor. Der Junge war etwa zwei Jahre älter als Joan. Er hatte wässerige blaue Augen und wirkte etwas entrückt.
»Vorläufig schlaft ihr in seiner Zelle«, sagte der Mönch.
Die Zellen der Mönche gingen auf den Kreuzgang hinaus, die des Novizen befand sich jedoch im Hof. Darum mussten sie sich die Strohsäcke und Bündel aufladen, während es immer stärker regnete. Bruder Jaume gab ihnen
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