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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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Santa-Anna-Kloster, das hinter der rechten Häuserreihe verborgen ist.«
    Die Straße war so gerade, dass man ihr Ende schon vom Anfang aus sehen konnte, und wegen des Aussehens der ersten Häuser vermuteten die Brüder, dass es dort gewiss keine großen Paläste gab.
    »Habt Ihr ein sehr großes Haus?«, erkundigte sich Gabriel und ergriff die Hand des Kaufmanns, um ihn daran zu hindern, schnell weiterzulaufen.
    Bartomeu blieb stehen und sah ihn an.
    »Es ist etwas größer als die, die du hier siehst«, antwortete er freundlich.
    »Und habt Ihr Kinder?«, wollte der Kleine wissen.
    Joan begriff, dass sein Bruder für den Kaufmann das Gleiche wie er empfand, und er hielt den Atem an, während er auf die Antwort wartete.
    »Nein, wir konnten leider keine bekommen.«
    Der Regen hatte die Straße leergefegt. Sie wirkte trostlos und dunkel. Es war kühl, und sie sahen nur zwei Häuser mit halbgeöffneter Tür. Die meisten waren zugesperrt.
    Auf einmal verschwanden die Träger mit den Warenballen aus ihrem Blickfeld.
    »Hier ist es«, sagte Bartomeu kurz darauf.
    Er zeigte auf ein breites Tor, das Fenster an seinem oberen Teil hatte und sich zwischen den Häusern öffnete. Es war groß genug, damit ein Wagen hindurchkommen konnte, und es schien die Einfahrt eines alten Herrenhauses zu sein.
    Joan betrachtete es neugierig. Nur ein Torflügel stand offen. Das Innere war dunkel. Er stellte es sich als ein großes hungriges Maul vor, das sie verschlingen wollte. ›Das hier ist unser Schicksal‹, dachte er, und er blieb ängstlich stehen. Er hatte Hunger und fror, und seine Begeisterung für die große Stadt war verschwunden. Er sehnte sich zurück nach seinem Dorf am Meer. Er dachte an sein Haus und seine Familie. Tränen traten ihm in die Augen, und er drückte die Hand seines Bruders, der sicher das Gleiche wie er fühlte.
    »Weiter!«, drängte sie Bartomeu. »Sonst werden wir nass!«
    Gabriel blickte ihn fragend an. Joan sagte sich, dass sie keine andere Wahl hatten. Er lief dem Kaufmann hinterher und empfahl sich dem Schutz des heiligen Sebastian, des Schutzpatrons der Einsiedelei, des Schirmherrn gegen feindliche Überfälle und Pestilenzen.
    Sie traten ein, und mit wenigen Schritten brachten sie den überdachten Teil hinter sich. Er endete in einem Bogen, der sich auf zwei von kleinen Kapitellen bekrönte Säulen dicht an der Wand stützte. Dort, vor dem Regen geschützt, blieb Bartomeu stehen und sagte zu ihnen: »Das hier ist das Santa-Anna-Kloster.«
    Sie befanden sich auf einem kleinen Innenplatz. Vor ihnen stand eine Kirche, die eine einfache, aber ebenmäßige Tür mit vielen übereinanderliegenden Bogen und einer darüber thronenden Jungfrau hatte. Links davon erhob sich ein Kirchturm mit zwei Öffnungen, der als Glockenturm diente, und weiter entfernt stand eine Mauer mit einem großen Spitzbogenfenster. Es war ein sehr finsterer Tag, und der Regen prasselte immer stärker.
    »Kommt mit!«, rief ihnen der Kaufmann zu.
    Er lief los und watete durch die Pfützen. Die Kinder gehorchten. Bartomeu führte sie durch ein Gässchen nach links und dann nach rechts, bis sie zu einer Mauer kamen, die aus soliden Steinen erbaut war. Darin befand sich eine Tür, über der ein Wappenschild mit dem vierarmigen Kreuz, dem des Patriarchen von Jerusalem, angebracht war.
    Als sie eintraten, sahen sie, dass sie sich wieder unter einem Dach befanden. Obwohl es ein düsterer Tag war, bewunderte Joan die harmonische Bauweise. Das hier war der Kreuzgang. Eine Reihe von schlanken und kleinen Säulen mit gemeißelten Kapitellen trug leichte gotische Bogen, die einen viereckigen Garten umgaben. In der Mitte befanden sich ein Brunnen, mehrere Palmen und Orangenbäume. Selbst im Regen war das schön. Der Kreuzgang hatte ein Obergeschoss, an dem allerdings noch gebaut wurde.
    »Das ist die Wahnvorstellung des Abtes Gualbes«, kommentierte ihr Führer, als hätte er in Joans Gedanken gelesen. »Selbst in diesen erbärmlichen Zeiten will er das ganze Bauwerk unbedingt fertigstellen. So sind die Adligen. Je eindrucksvoller ihr Palast ist, für desto wichtiger halten sie sich.«
    »Er ist adlig?«
    »Selbstverständlich! Das ist er von Geburt an, und als Abt des Santa-Anna-Klosters trägt er die Titel eines Barons von Palafrugell mit allen dazugehörigen Feudalrechten, sogar der Blutgerichtsbarkeit, und eines Herrn von Miralles.«
    Er ging zum anderen Ende des Kreuzgangs. Die Träger hatten dort die Waren abgeladen, die nun von einem

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