Am Horizont die Freiheit
Hügel, der nach Süden und Osten beinahe senkrecht abfiel, bis hin zu einigen Klippen, die ins Meer hineinragten. Im Westen öffnete sich Sitges zu einem weiten Strand.
Als Joan herankam, hielt er begierig Ausschau nach dem Boot seines Vaters, doch er sah keines, das ihm ähnlich war. Es musste wohl auf dem Meer sein und fischen, dachte er.
Das Boot, mit dem er gekommen war, beförderte Erzeugnisse aus Barcelona, und es sollte zwei Tage in Sitges bleiben, um dort Geschäfte zu machen. Danach würde es Wein und verschiedene landwirtschaftliche Erzeugnisse mit zurück nach Barcelona nehmen. Außer der Bürgschaft des Schiffsführers hatte Joan einen Geleitbrief, den Bartomeu vom Prior der Pia Almoina in Barcelona erhalten hatte. Diese fromme Stiftung besaß die Feudalrechte über den Ort, und darum bekam Joan keine Probleme, als er die kleine Stadt betreten wollte. Er konnte sich drinnen und draußen frei bewegen, sowohl in der auf dem Hügel über dem Meer erbauten Altstadt wie auch im nördlichen Teil, der ebenfalls ummauert war und den man von der Altstadt aus über eine Brücke erreichte. Zwei Kanonen blickten aufs Meer hinaus, und Joan sagte sich, damit ein Küstenort überleben könne, brauche er so gute Verteidigungsanlagen wie dieser. Wenn seine Familie in Sitges gelebt hätte, wäre sie nicht von diesem schrecklichen Unglück heimgesucht worden. Sitges war eine aufstrebende Kleinstadt mit äußerst rührigen Kaufleuten und Handwerkern, und es diente einer großen Region des Landesinnern als Zugang zum Meer. Doch Joan durfte sich nicht mit solchen Betrachtungen aufhalten. Er schaute zur Sonne empor und sah voraus, dass die Fischerboote bald zurückkommen würden. Er ging zum Strand.
Immer deutlicher wurden die Umrisse des Bootes, je mehr es sich näherte. Die Sonne beleuchtete die Backbordseite. Es hatte sein Segel aufgespannt und durchfurchte kraftvoll das Meer. Joan erkannte sofort, dass es die
Möwe
war. Der einzige Unterschied bestand darin, dass das Segel andere Flickstellen hatte. Seine Augen füllten sich mit Tränen, und einen kurzen Augenblick lang dachte er, wenn der Kiel in den Sand stieße, würden sein Vater, Tomás, Daniel und alle Übrigen fröhlich über Bord springen, wie sie es in Llafranc getan hatten. Doch es waren nur Traumbilder aus seinen Erinnerungen. Das Boot wurde immer größer, als es herankam. Er sah, wie man das Segel einzog und das Boot schließlich mit den Rudern voranbrachte. Kurz danach setzte es am Strand auf. Er musste sich nicht bewegen. Das Boot kam bis zu seinen Füßen, wie der Hund zu seinem Herrn, den er seit langem nicht gesehen hat. Die Frauen warteten, und unter großem Geschrei übergaben ihnen die Fischer mit Fischen gefüllte Körbe. Es war ein guter Fang gewesen, und alle waren glücklich. Wie in seinem Dorf, sagte sich Joan. Genauso. Wenn er nur die Augen halb schloss, stellte er sich vor, dass es seine Familie und seine Freunde waren. Er entfernte sich ein paar Schritte und betrachtete alles mit einem von Tränen verschleierten Blick.
Als das Ausladen beendet war, spannten sie ein paar Ochsen ins Joch und zogen das Boot so weit heraus, dass es vor der Flut sicher war. In Joans Dorf machte man das Gleiche, allerdings mit menschlicher Muskelkraft und zusammen mit den Nachbarn.
Joan wusste: Das war sie, die
Möwe
. Er brauchte es nicht nachzuprüfen. Doch als die Fischer zum Ort liefen, sprang er ins Boot. Da war das Bild im Holz, das er geschnitzt hatte. Als er darüber strich, quollen seine bisher zurückgehaltenen Tränen in Strömen hervor. Es war das Boot seines Vaters. Noch spürte er seine Gegenwart und auch die seiner Gefährten.
»Herrgott, warum hast du gestattet, dass so etwas passieren konnte?«, murmelte er und schluchzte.
Er kniete sich nieder und lehnte seinen Kopf an das Bild, damit sein Schmerz zusammen mit seinen Tränen nach außen dringen konnte.
»Warum?«, fragte er immer wieder. »Warum?«
Es wurde Nacht, und er wollte, dass die Dunkelheit wie ein Leichentuch wirkte, das seinen Schmerz verbarg. Aber als sich ihm eine Hand schwer auf die Schulter legte, fuhr er erschrocken zusammen.
»Junge, was machst du hier?«
Er blickte hoch, und seine feuchten Augen entdeckten den Mann mit dem grauen Bart, dem die Fischer gehorcht hatten: Es war der Schiffsführer. Joan wusste nicht, was er antworten sollte. Er sah ihn an, während er spürte, dass ihn seine kräftige Hand festhielt. Der Mann ähnelte seinem Vater nicht. Er wollte
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