Am Horizont die Freiheit
war, könnte er sie vielleicht weiterhin sehen. Er hatte keine andere Wahl.
»Ich verstehe«, antwortete er ein paar Augenblicke später, in denen er verzweifelt nach einer anderen Möglichkeit gesucht hatte. »Teilt Annas Vater mit, dass ich ihn und seine Tochter respektiere und dass er mir verzeihen möge, wenn es ein Missverständnis gegeben hat. Dass ich die beiden nicht beleidigen wollte und dass ich nicht wieder mit ihr reden werde.«
»Das machst du richtig«, lobte ihn Bartomeu. »Und es tut mir leid.«
Joan besaß schon fünf dieser kleinen Bücher, die er für seinen persönlichen Gebrauch herstellte. Sie wurden immer besser, und der Meister beglückwünschte ihn zu seinen Fortschritten als Lehrling. Er bewahrte die älteren Exemplare im Santa-Anna-Kloster an einer Stelle auf, die nur er kannte, und schrieb heimliche Notizen hinein. In dieser Nacht notierte Joan in seinem kleinen Buch: »Ich liebe sie«, und eine Träne verwischte den letzten Buchstaben.
Am nächsten Tag lächelte Anna nicht. Sie blickte ihn nicht einmal an, und Joan tat nichts, um sich ihr zu nähern. Ihr Vater hatte wohl auch mit ihr gesprochen. Ohne ihr Lächeln war der Morgen traurig, doch er konnte sie wenigstens sehen und wissen, dass sie seine Anwesenheit bemerkte. Ein paar Tage danach kamen sie zusammen, als der Platz beinahe menschenleer war, und er flüsterte ihr zu: »Sie erlauben mir nicht, mit Euch zu reden.«
»Mir auch nicht«, antwortete sie ganz leise und heimlich.
»Ich liebe Euch«, gestand er.
Sie warf ihm einen eindringlichen, äußerst beunruhigten Blick zu, und ihre grünen Augen zeigten an diesem Tag dunkle Pünktchen. Ohne etwas zu sagen und ohne den Krug zu füllen, verließ sie in aller Eile den Platz.
Joan hatte sein Versprechen gebrochen, und ihm wurde klar, dass er sie vielleicht nie wiedersehen würde. Beklommen suchte er denselben Ort am nächsten Tag auf, und sie war nicht da. Auch nicht an den folgenden Tagen. Er hatte verloren, was er am meisten liebte, und er wusste nicht, wie er seinen Fehler wiedergutmachen konnte.
33
N achdem Bartomeu von einer Reise nach Valencia zurückgekehrt war und mit Mosén Corró abgerechnet hatte, ging er zu Joan. Das tat er meistens, und Joan wunderte sich darüber nicht. Doch an diesem Tag machte der Kaufmann ein ernstes Gesicht.
»Was gibt es?«, fragte der Junge besorgt.
»Ich glaube, ich habe Neuigkeiten.« Er blickte ihn eindringlich an.
»Was für Neuigkeiten?«
»Sie können dich betreffen.«
»Worum geht es?« Joan fühlte sich besorgt.
»Im Süden von El Garraf gibt es einen Ort mit sehr dicken Mauern. Er heißt Sitges«, erklärte er. »Es ist der wichtigste Ort der ganzen Gegend, und dort lege ich immer einen Halt ein. Nie hatte ich darauf geachtet, aber diesmal habe ich es gesehen. Es war, als ich am Strand spazieren ging.«
»Was habt Ihr gesehen?«
»Ich habe dieses Boot gesehen.«
»Was für ein Boot?«, erkundigte sich der Junge erstaunt.
»Ich habe gesehen, dass auf einem Innenbrett des Bugs das Bild eines Walfangs eingeschnitzt ist. Und in Sitges jagen sie keine Wale.«
»Was?«
»Ja, genau wie das Bild im Boot deines Vaters. Auch die Maße stimmen überein.«
»Wie kann das sein?«, fragte sich Joan verwundert. »Wie sieht es aus?«
Bartomeu beschrieb den die Harpune hochhebenden Mann links und den Wal rechts. Außerdem habe das Boot acht Ruder und ein Lateinsegel.
»Das ist die
Möwe
!«
»Sicher ist das nicht. Ich glaube, du musst selbst nach Sitges gehen und es nachprüfen.«
Der Kaufmann erhielt die Erlaubnis Mosén Corrós, und mit einem ihm bekannten Seemann vereinbarte er die Fahrt nach Sitges. Eine Woche später betrat Joan wieder die Bretter eines Bootes, nachdem beinahe drei Jahre seit dem letzten Mal vergangen waren. Er liebte das Meer. Es war wie eine Heimkehr. Er dachte an die schönen Zeiten mit seiner Familie, an ihr Boot und die Wellen zurück. Er roch die Seeluft, spürte die Sonne und die kühlen Wasserspritzer auf seiner Haut. Er schloss die Augen und träumte, dass alles abermals wie früher war, als selbst die Fische, die in den Netzen der
Möwe
gefangen wurden, glücklich waren.
Das Boot brachte ihn nach Süden. Hinter ihm blieben die Stadtmauern zurück, der Berg Montjuic, das Rohrdickicht an der Mündung des Llobregat, die langen Sandstrände mit den dichten Pinienwäldern von Castelldefels und dann die Steilküste von El Garraf. Schließlich erblickten sie einen ummauerten Ort auf einem
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