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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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seine beste Waffe. Er benutzt die Ängstlichen, um die Übrigen einzuschüchtern. Hast du all die Menschen gesehen, die mit ihren Büßerhemden und spitzen Mützen vorbeigezogen sind?«
    »Ja.«
    »Glaubst du, dass ihnen Bruder Espina nur für Geld, öffentliche Schande und Demütigung verziehen hat?«
    Joan zuckte die Achseln.
    »Überhaupt nicht!« Bartomeu war empört. »Sie mussten andere beschuldigen! Das sind Denunzianten! Der Inquisitor verzeiht nicht, wenn man ihm keine Namen nennt.«
    Joan dachte darüber nach. »Wenn du dich retten willst, musst du deinen Freund, deinen Nachbarn, deinen Gatten anzeigen …« Er schüttelte bestürzt den Kopf.
    »Außerdem sind die Anzeigen geheim. Du weißt nicht, wer dich beschuldigt und was er dir zur Last legt«, sagte Bartomeu weiter. »Und darum kannst du dich nicht verteidigen. Du bist in der Hand des Inquisitors. Kannst du dir die Panik vorstellen, die du verspüren würdest, wenn du etwas zu verbergen hättest? Deshalb melden sich viele selbst, bevor man sie anzeigt. Und sie müssen wieder andere beschuldigen.«
    Joan starrte den Kaufmann entsetzt an. Bartomeu fuhr fort: »Wir haben uns bemüht, uns dieser Inquisition mit allen möglichen Mitteln zu widersetzen. Aber wir haben verloren. Der Schrecken sucht Barcelona heim wie andere Städte auch. Es wird zu einer Stadt der Denunzianten werden.«
    In dieser Nacht notierte Joan in seinem Buch: »Angst. Eine Stadt voller Spitzel.«
     
     
    Am nächsten Tag lief das Schiff eines gewissen Gelabert gegen die Befehle des Inquisitors aus dem Hafen Barcelonas aus. Es hatte zweihundert Konvertiten an Bord, die fliehen wollten. Man munkelte, dass Bruder Espina einen Wutanfall bekommen habe. Er bedrohte sogar die Ratsherren der Stadt.
    Ein paar Tage danach inszenierte der Mönch sein zweites großes öffentliches Schauspiel. Aus dem Dominikanerkloster kam eine Prozession mit Fahnen und Kruzifixen. Neu war, dass die Büßer ihre Gesichter mit schwarzen Schleiern verhüllten und trotz der Dezemberkälte nackte Rücken hatten. Sie geißelten sich auf dem ganzen Weg bis zur Kirche Santa María del Mar. Dort hörten sie eine Messe und die Predigt Bruder Espinas und kehrten dann auf demselben Weg ins Kloster zurück, wobei sie sich abermals auf den Straßen geißelten.
    Wenige Tage später lief eine Galeere mit weiteren Konvertiten nach Italien aus.
    Bruder Alfonso Espina lieferte kurz darauf eine neue Demonstration seiner Macht. Am 25 . Januar 1488 wurde das erste Autodafé auf der Plaza del Rey veranstaltet. Der Inquisitor hielt seine Predigt, und am Ende verurteilte er vier Angeklagte zusammen mit weiteren geflohenen Beschuldigten zum Tod auf dem Scheiterhaufen. In El Canyet, nahe am Meer, genau an der Stelle, wo sich die Jungen Schlachten mit Steinwürfen lieferten, wurden die Verurteilten zusammen mit den Bildnissen der Flüchtigen verbrannt.
    Felip, Joan und die Übrigen sahen sich das Schauspiel an. Die Leute drängten sich dicht zusammen, doch im Unterschied zu anderen Hinrichtungen herrschte diesmal ein so tiefes Schweigen, dass man in den Stadthäusern nahe beim Portal de Sant Daniel die Schreie der Flammenopfer hören konnte.
    Als sie zurückkamen, war Barcelona anders. Kälte und Angst machten es düster und verschlossen. Die wenigen Passanten auf den Straßen sahen ihre Nachbarn misstrauisch und ängstlich an. Bruder Alfonso Espina hatte gesiegt, und Joan fragte sich, wie viele sich von diesem Tag an zu Denunzianten machen ließen.

37
    N achdem ihn Felip verprügelt hatte, wurde das Zusammenleben im Haus der Corrós für Joan immer schwieriger. Felip verlangte von ihm kleine Gefälligkeiten, wie etwa, dass er ihm bei Tisch den Krug heranholte oder das Brot gab. Aber die Lehrlinge wussten genau, dass es Befehle waren. Als Felip sah, dass sich der Junge unterordnete, steigerte er seine Ansprüche.
    Für Joan bedeutete es eine Erholung, im oberen Stockwerk mit Abdalá zu arbeiten. Die ruhige Art des Mauren wirkte entspannend auf ihn. In diesem Raum gab es eine andere, geordnete Welt, in der man sowohl die in den Buchstaben enthaltene Seele des Buches als auch dessen Körper verehrte, der ihre unentbehrliche Hülle war. Hier gab es eine Heimstatt der Kultur, wo sich der Lehrling sicher fühlte und wo er täglich neue Wörter und Begriffe in unterschiedlichen Sprachen zusammentrug, die er sich zu eigen machte.
    Abdalá fragte nicht nach den Wunden und blauen Flecken in seinem Gesicht, doch er musterte ihn wortlos. Als Joan

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