Am Horizont die Freiheit
Frau, die du liebst, er hat dich eingeschüchtert …« In der Stimme des Alten schwang ein drängender Ton mit. »Und das willst du ihm erlauben?«
»Ich?«
»Pass auf, Joan. Ich habe festgestellt, dass du schon beinahe so groß bist wie er.«
»Aber er hat mich verprügelt …«
»Nicht wegen seiner Größe war er dir überlegen, sondern weil er dir schaden wollte, während du versucht hast, ihn von Anna fernzuhalten. Das hat er getan. Außerdem sagst du, dass er Helfer hatte, nicht wahr? Was wäre geschehen, wenn ihr zwei allein gewesen wäret und du dich auf einen Kampf vorbereitet hättest?«
Joan überlegte.
»Hätte er dir angetan, was er dir angetan hat?«
»Nein!«, erwiderte der Lehrling.
»Also?«, sprach Abdalá weiter. »Willst du dann immer noch mit dieser Angst leben?«
»Aber er ist der Bandenführer. Ich kann es nicht allein mit ihm aufnehmen. Da sind noch die Übrigen.«
Abdalá lächelte.
»Nun gut. Allmählich denkst du schon, dass du es kannst oder dass du wenigstens Möglichkeiten hast, ihn zu besiegen, wenn er allein ist. Entscheide dich, ob du dich von der Angst befreien oder immer mit ihr leben willst. Und wenn du das weißt, rede mit mir. Jetzt gehen wir wieder an die Arbeit.«
Verwirrt machte sich Joan erneut ans Werk. Welche Rolle spielte es schon, was er wollte? Der große Felip würde ihm die Knochen brechen, wenn er es mit ihm aufnahm. Es war logisch, dass er Angst vor ihm hatte. Den Rest des Tages dämmerte er an seinem Tisch vor sich hin und beseitigte die Tintenkleckse, die sich in seinen Schriftzügen zeigten. Immer wieder grübelte er über Abdalás Worte nach, doch er glaubte nicht, dass ihm dieser friedfertige Maure würde helfen können.
Beim Abendessen musste er wieder einmal die ständigen Bosheiten Felips ertragen, und in dieser Nacht weckte ihn derselbe Albtraum mehrmals auf: wie Felip sich an Anna verging.
Am folgenden Morgen konnte er sich nicht auf die Arbeit konzentrieren. Schließlich ging er zu seinem Meister und sagte: »Abdalá, ich will mich von der Angst befreien.«
Der Meister betrachtete ihn aufmerksam, bevor er sprach.
»Damit du dich von der Angst befreist, musst du mit ihrer Ursache fertig werden«, sagte er endlich. »Wer ist die Ursache deiner Befürchtungen?«
»Felip.«
»Du weißt, dass er dich umbringen kann, wenn du es mit ihm aufnimmst und wenn du verlierst?«
»Ja.«
»Dann sag mir: Warum würdest du bereit sein, dein Leben zu wagen?«
Joan dachte darüber nach. Sein Dasein hatte sich in einen erbärmlichem Zustand verwandelt. Er wollte weiterleben, damit er seine Familie befreien und sich an den Mördern seines Vaters rächen konnte. Und er wollte es auch, um Anna wieder lächeln zu sehen, um ungehindert Bücher lesen zu können und seinen Bruder zu beschützen … Es gab tausend Dinge, für die man leben konnte. Aber er wusste, dass er diese peinigende Angst bezwingen musste, um sich an alldem erfreuen zu können.
»Ich möchte nicht länger leiden, wenn ich daran denke, was er Anna alles antun kann, und er soll mich nicht mehr demütigen.«
»Bist du wütend, wenn du dich daran erinnerst, was er dir angetan hat?«
»Ja, sehr.« Der Junge presste die Kinnladen zusammen.
»Gut, das ist gut«, betonte der Meister. »Jetzt hör mir genau zu: Es ist gut, sehr gut, dass du wütend bist – je mehr, desto besser. Angst lässt sich leicht in Hass verwandeln. Tu es. Aber du musst mit kühlem Kopf handeln.«
Er erklärte ihm, die erste Voraussetzung, um eine Schlacht zu gewinnen, sei der unerschütterliche Wille zu siegen. Seine Wut und seine Angst seien gute Impulse dafür. Er müsse immer daran denken, was ihm Felip angetan habe und welche Bedrohung er für Anna darstelle. Und wenn er ihn niederschlage, dürfe er ihm keine Ruhe gönnen, sondern müsse bis zur letzten Konsequenz gehen. Selbstverständlich ohne ihn zu töten.
»Denk daran, und komm wieder, wenn du glaubst, dass dein Siegeswille größer ist als der deines Widersachers.«
Während des restlichen Vormittags grübelte Joan weiter. Seine Angst wandelte sich zu dem Verlangen, den anderen zu bestrafen, damit sich die Verhältnisse umkehrten und der andere schließlich
ihn
fürchten würde. Je länger er an die Beleidigungen, Herabsetzungen und Demütigungen zurückdachte, desto mehr wuchs seine Entschlossenheit. Vor dem Essen ging er wieder zu Abdalá und sagte: »Ich will ihm eine Lektion erteilen. Nichts wünsche ich sehnlicher.«
Abdalá lächelte und sagte,
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