Am Horizont die Freiheit
schließlich wieder einmal die Feder geistesabwesend ins Tintenfass tauchte, ohne sie dann herauszuziehen, fragte er: »Was hast du, Junge?«
»Nichts.«
»Welche Angst dich auch bedrückt, du bist gewiss nicht der Erste auf der Welt, der unter ihr leidet«, betonte der Maure. »Vielleicht kann ich dir helfen.«
Joan sagte nichts und setzte seine Arbeit fort. Welche Lösung könnte ihm schon der friedfertige Abdalá bieten?
Die üble Behandlung fand jedoch kein Ende. Wochen vergingen, und der große Bursche peinigte ihn immer noch. Joan, der die Strafe kannte, die ihn erwartete, wenn er nicht gehorchte, unterwarf sich. Felip ließ in seiner Bande keine Fahnenflucht zu, doch immer, wenn er konnte, hielt sich Joan abseits und behauptete, dass man im Santa-Anna-Kloster nach ihm verlange. Sobald er dort war, lief er in seinen Gartenwinkel, wo er wütend mit der Azcona seines Vaters übte, indem er sie gegen eine Scheibe schleuderte, von der er sich vorstellte, sie sei Felip. Aus einem Grund, den er nicht in Worte fassen konnte, hatte er die Waffe seines Vaters im Kloster aufgehoben. Er spürte, dass sie dort sicherer war.
Anna kam nicht wieder zum Brunnen zurück, doch er ging täglich in die Calle Argentería, weil er hoffte, sie dort zu sehen. Wenn er sie erblickte, war er glücklich, obwohl er es nicht wagte, sich ihr zu nähern. Wenn sie ihn erblickte, erstrahlte ihr Gesicht in einem Lächeln, was Joan über alle Maßen freute. Als sie sich wieder einmal diese stummen Botschaften übermittelten, bemerkte Joan, wie sich ihr Gesicht in panischem Schrecken verzog. Anna rannte überstürzt ins Haus. Da schlug ihm jemand auf die Schulter und sagte: »Deine Jüdin gefällt mir immer besser.« Es war Felip. »Du wirst schon sehen, was ich mit ihr mache, wenn ich sie das nächste Mal erwische.«
Er ließ ein Gelächter hören. Joan drehte sich erschrocken um.
»Das nächste Mal lasse ich sie nicht davonkommen, und dann gibt sie mir alles, was du niemals haben wirst«, setzte er hinzu.
Der Raufbold genoss die Angst des Jungen. Joan wusste nicht, was er tun und sagen sollte. Er geriet in Panik. Felip machte keinen Spaß.
»Joan, ich bin nicht mit dem einverstanden, was Felip dir angetan hat, und auch nicht mit der Art, wie er dich behandelt«, flüsterte ihm Lluís in einem Augenblick zu, in dem Felip nicht in der Werkstatt war.
Der Junge blickte ihn überrascht an.
»Nicht?«, fragte er zurück.
»Nein. Ich habe seine Protzereien satt. Auch ich musste das alles ertragen, als ich hier angefangen habe. Aber ich war zu klein und konnte mich nicht verteidigen, und nie habe ich mich getraut, so etwas wie du neulich zu tun.«
»Du hast Angst vor ihm, nicht wahr?«
»Ja, und das mit Recht«, antwortete Lluís. »Er ist stärker, und er kennt kein Mitleid.«
In dieser Nacht fand er keine Ruhe, und als er gerade einschlafen wollte, fuhr er mit einem Ruck hoch. Felips Bild, wie er Anna Gewalt antat, tauchte immer wieder vor ihm auf. Sein Herz klopfte schneller, und er bekam keine Luft.
»Was war heute Nacht?«, fragte ihn Abdalá am Morgen. »Du hast dich auf deinem Strohsack hin und her gewälzt. Du konntest nicht schlafen.«
»Und woher wisst Ihr das?«, wollte der Junge wissen. »Habt Ihr auch nicht geschlafen?«
»Doch, ich habe geschlafen. Aber wir Alten schlafen weniger, und ich nutze die Zeit, um die Augen zu schließen. Dann sehe ich Granada in meinen Wachträumen vor mir, kehre dorthin zurück und laufe durch seine Straßen. Das Granada aus der Zeit, als ich ein Kind war. Es gibt keinen schöneren Ort auf der Welt.«
»Auch ich träume manchmal mit wachen Augen von meinem Dorf, meinem Meer und meiner Familie.«
»Sag mir, was mit dir ist«, forderte ihn der Meister sanft auf.
Joan konnte es nicht länger aushalten. Mit Tränen in den Augen erzählte er ihm von Felips übler Behandlung und dem Schrecken, den ihm die Drohung gegen Anna einjagte.
Der Alte hörte aufmerksam zu, und dann dachte er angestrengt nach.
»Die Angst versklavt uns schlimmer als Ketten, die Angst und auch die Unwissenheit«, sagte er schließlich. »Mit dieser Angst kannst du nicht weiterleben.«
»Ja. Das weiß ich schon. Das hat mein Vater gesagt«, bestätigte der Junge betrübt. »Aber was kann ich tun? Er ist viel stärker als ich. Er hat mich verprügelt, mich vor allen erniedrigt und mir die Würde genommen.«
Abdalá beobachtete ihn und bedachte ruhig seine Worte.
»Er hat dir die Würde genommen, er bedroht die
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